Neue Gesetze versprechen gern Übersichtlichkeit. "Hier die Grafik des Innenministeriums", sagt also Patrick Schumann vom Landratsamt Mühldorf und lässt den Beamer einen Irrgarten aus Pfeilen, Namen und Regularien an die Wand werfen. Gelächter im Saal. Auch Schumann lächelt, sagt aber: "Die Grafik ist besser, als sie ausschaut." Das stimmt, bei näherem Hinsehen offenbaren die scheinbar wirr zielenden Pfeile, dass es künftig viele Wege gibt, im Ausland um Mitarbeiter zu werben. Man muss halt den einen, den passenden Weg finden. "Der Teufel steckt im Detail", sagt Schumann.
Womöglich neue Wege gehen, das interessiert an diesem Nachmittag rund 30 Unternehmer in Mühldorf. Denn die Not ist groß. 300 000 Fachkräfte fehlen im Freistaat, hat der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) ermittelt, auf dem Bau wie in der Informatik. Die Wirtschaft verbindet darum große Hoffnungen mit dem zum März in Kraft tretenden Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG): Es soll den Mangel ein wenig lindern, indem es bayerischen Firmen und Menschen aus dem EU-Ausland hilft, zueinander zu finden. Doch das Leichtermachen droht, in vielen Fällen kompliziert zu werden.
Warum, lässt sich in Mühldorf nach drei Stunden Programm erahnen. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern hat zu einer Infoveranstaltung geladen. Die Stühle im Tagungsraum sind ordentlich aufgereiht. Wer sich aus dem Fenster lehnte, vielleicht auf der Suche nach Beistand, könnte einen Blick auf den Turm von St. Nikolaus erhaschen. Neben IHK-Expertinnen sprechen Vertreter von Arbeitsagentur und Landratsamt. Denn damit das FEG funktioniert, müssen viele Beteiligte zusammenarbeiten: Firmen, Bewerber, Botschaften, Kammern, Jobcenter und, quasi als Koordinatorinnen, die Ausländerbehörden. Und sie sollen schnell zusammenarbeiten. Idealerweise dauert die Einstellung - je nach Verfahrensweg - zwei bis drei Monate. Das klingt ambitioniert. Schumann sagt, man habe schon überlegt, was eine bayerische Behörde einer Bundesbehörde notfalls anschaffen könne. "Um ehrlich zu sein: nichts. Wir können nur anmahnen." Und mancherorts sind die deutschen Botschaften jetzt schon überlastet. Arbeiter, die im Westbalkan ein Visum beantragen wollen, müssen ein Jahr auf einen Termin warten. Entsprechend sarkastisch wird später eine Unternehmerin ihren Eindruck vom neuen Gesetz zusammenfassen: "Das klingt alles sehr hoffnungsvoll." Ihr Mechatroniker aus Bosnien-Herzegowina warte sogar seit bald zwei Jahren darauf, arbeiten zu dürfen.
Wie das Gesetz bestenfalls funktioniert, zeigt ein Animationsfilm des BIHK. Darin findet ein fiktiver Bernado aus Brasilien einen Job im Freistaat. Das FEG richtet sich vor allem an Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung, die außerhalb der europäischen Wirtschaftszone leben. Sie sollen sich zum Beispiel über eine Online-Plattform der Arbeitsagentur bewerben und mit bayerischen Firmen einen Arbeitsvertrag schließen. Die Behörden und Kammern prüfen unter anderem, inwieweit die Qualifikation anerkannt werden kann. Eine Vorrangprüfung - also ob ein deutscher Arbeiter für die Stelle in Frage käme - entfällt für viele Berufe. Ist alles in Ordnung, stellt die zuständige Botschaft ein Arbeitsvisum aus.
Das ist natürlich vereinfacht. Die Theorie kennt genug Sonderfälle, die Verwirrung stiften. Für ITler gelten zum Beispiel niedrigere Hürden, etwa bei den geforderten Sprachkenntnissen. Für Köche wiederum entfällt die Vorrangprüfung, nicht aber für Spezialitätenköche. Kein Wunder also, dass "ein paar Gerüchte" existierten, wie es IHK-Referentin Maral Noruzi formuliert. So benötige nicht jeder Drittstaatsangehörige ein Visum - unter anderem Kanadier könnten sich auch so für ein paar Monate hier aufhalten. Das FEG stelle zudem keinen "Systemwechsel" beim Migrationsrecht dar: Der Nachweis eines Arbeitsplatzes sei weiter für die Einreise nötig. Letztlich modifiziere das FEG die bisherigen Bestimmungen, mancher Arbeitsschritt fiele weg. "Optimalerweise führt das zu einer Beschleunigung des Vorgangs", sagt Noruzi. Im Publikum meldet sich ein Hotelier: Man wisse ja nicht immer gleich, ob Betrieb und Bewerber zusammenpassten, gelte das neue Gesetz denn auch für Praktikanten? "Nein, das ist etwas anderes", sagt Noruzi. Eine IHK-Kollegin schaltet sich ein: Vielleicht ließe sich das über einen Passus zur Probebeschäftigung regeln. Der Abgesandte der Arbeitsagentur widerspricht, das gehe so einfach nicht, er zählt diverse Argumente auf. Noruzi sagt: "Das sind Fragen, die uns in der Praxis noch beschäftigen werden." Mancher Gast hat schon etliche Blockseiten mit Notizen gefüllt, dabei ist erst eine halbe Stunde vorbei.
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Auch die Staatsregierung treibt das Thema um. Vergangene Woche kündigte sie an, zur Unterstützung von Firmen eine Minibehörde in Nürnberg mit 20 Mitarbeitern zu installieren. Bayern ist längst auf Zuzug angewiesen. Die Zahl der beschäftigten Ausländer stieg in den vergangenen fünf Jahren von 540 000 auf 880 000, das entspricht einem Anteil von zuletzt 15,5 Prozent an der Gesamtbeschäftigung. Viele stammen aus EU-Ländern. Gleichzeitig gilt der Fachkräftemangel als eine der größten Gefahren für die Wirtschaft. Ihr gehen deshalb laut BIHK 23 Milliarden Euro Wertschöpfung jährlich verloren.
Mit Veranstaltungsende ist vieles geklärt und bleibt doch offen. Pauschalaussagen lassen sich kaum treffen. Jeder Fall ist anders, etliche Details des Gesetzes wurden noch nicht spezifiert. Auf die Frage, wer denn plane, das FEG zu nutzen, heben trotzdem fünf, sechs, sieben Personen im Raum die Hand. Der Chef eines Gemüseanbaus berichtet von einem interessierten Bewerber, ein Quereinsteiger aus Osteuropa. Die Experten wollen ihm nicht den Mut rauben, aber das Ganze wird wohl knifflig. Bessere Chancen sehen sie für den Hotelier, der einen Azubi aus Marokko an der Hand hätte. Und lässt sich ein ukrainischer Sachbearbeiter mit Berufserfahrung, aber ohne entsprechende Ausbildung bei einem Schadensregulierer einsetzen? Schwierig, sagt Schumann. "Aber das klingt interessant, geben Sie uns den Fall mal rein."