Mitten in Bayern:Vom Zugfahren in Corona-Zeiten

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Keine grölenden Fußballfans, keine nervenden Manager, keine überfüllten Abteile. Es sind gerade schöne Zeiten für Zugfahrer. Meistens wenigstens

Kolumne von Maximilian Gerl

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, wusste der Philosoph Thomas Hobbes einst. Genauer: Der Mensch ist den anderen ein Mitreisender. Und was macht der nicht mit auf Bayerns Bahnstrecken. Dicht an dicht sitzt er da im Regionalzug, zwischen angeheiterten Fußballfans, frischen Dönern und Herren in Anzügen, die Business-Phrasen ins Telefon brüllen, die auch am anderen Ende der Leitung niemand glaubt. Wenn dann im Sommer wieder die Klimaanlage ausfällt, legt sich über die Szenerie ein Geruch, gegen den selbst Knoblauchsoße kaum ankommt. Gute Reise!

In normalen Zeiten kann eine Zugfahrt also die Nerven strapazieren. Doch die Zeiten sind nicht normal. In diesem Fall kann das sogar als Glück verstanden werden. Hier das Ergebnis einer Stichprobenfahrt von München nach Deggendorf und zurück: wenige Passagiere, freie Platzwahl, angenehme Ruhe. Der Fußball, wie wir ihn kannten, ist tot, der nächste Döner sitzt weit weg und Management-Lichtgestalten reisen im Homeoffice zu Scrum Sessions, um asap das Mindset ihrer Stakeholder zu briefen. Herrlich! Allerdings ist das Ergebnis der Stichprobe nicht repräsentativ. Gerade im Berufsverkehr geht es gern anders zu. Kollege B. etwa berichtet von einem Damen-Sextett mittleren Alters, das der Corona-Krise trotzte, indem es sich im Abteil unter gegenseitiger Anfeuerung volllaufen ließ. Die derzeit in den Öffentlichen zu tragende Maske stellte dabei kein wirkliches Hindernis dar.

Schon deshalb kann der Mensch den anderen leider weiter ein Wolf werden. Genauer: ein Infektionsherd. Während sich die meisten Passagiere an die Maskenpflicht zu halten scheinen, tun sich manche mit dem Konzept noch schwer. Gern schaut dann zum Beispiel die Nase über dem Maskenrand heraus. Das ist freilich bei der Risikominimierung ähnlich hilfreich, wie sich im Auto anzuschnallen, indem man das Gurtende unter die Achseln klemmt - bremst schon ein bisserl, aber im Zweifel halt semi-gut. Dabei kann die Maske, richtig getragen, nicht nur die Gefahr einer Corona-Infektion reduzieren, sie kann sogar nostalgisch wirken: Immerhin fühlt sich das Atmen unter ihr bisweilen so heiß und stickig an wie in der guten, alten Zeit, als im Zug die Klimaanlage ständig ausfiel.

© SZ vom 21.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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