Mitten in Bayern:Schöner Mist!

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So manch bayerischer Brauch ist nichts für sensible Gemüter. Das wissen besonders junge Frauen in Sondheim vor der Rhön

Von Dietrich Mittler

Wenn die Weltöffentlichkeit bislang ihren Fokus auf das fränkische Sondheim vor der Rhön richtete, dann doch hauptsächlich wegen der ständigen Wechselei dort, die auch die Einheimischen offenbar etwas kirre gemacht hat. Unter anderem gehörte Sondheim mal zum Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, dann als Teil der Exklave Ostheim zum neu gegründeten Freistaat Thüringen, 1945 wurde es bayerisch. Alles in allem ein beschaulicher Flecken Land, in dem insbesondere Landwirtschaft und Handwerk aufblühten, jäh zurückgeworfen nur durch die Feuersbrunst im Jahre 1840.

Das alles muss man wissen, um zu verstehen, warum die einst agrarisch geprägte Ortsgemeinschaft noch heute einem Fruchtbarkeitsritus nachhängt, der im wahrsten Sinne des Wortes anrüchig ist. Wo auch immer gerade im unterfränkischen Sondheim ein Mädchen ins heiratsfähige Alter kommt, wird ihr jetzt ein Storchennest vor die Tür gesetzt - wohlgemerkt konstruiert aus Mist. Das soll der Gebärfreudigkeit der bedachten Damen dienlich sein. Motto: Gut gedüngt ist halb gewachsen. Freilich, so genau weiß in Sondheim keiner, wo der Brauch herkommt. Auch brachte ein Sendebeitrag des Bayerischen Rundfunks nun ans Licht: Selbst in Sondheim kann sich kein Mensch erklären, warum ein weibliches Geschöpf ausgerechnet mit Mist beehrt werden muss, um so die in ihr schlummernden zärtlichen Gefühle zu wecken. Womöglich wollen die Sondheimer Burschen auch ganz einfach nur zum Ausdruck bringen: "Riech amol, der Frühling naht."

Wie nun zu erfahren war, freuen sich über das Sondheimer Aphrodisiakum vor allem die Eltern der bedachten Mädchen. Der Mist wird als Dung im Garten eingebracht. Aber auch manche junge Frau soll sich über diese Aufmerksamkeit freuen. Ob aber das auf die weibliche Libido zielende Nest tatsächlich dem Überbringer dabei hilft, die erhoffte eigene Nachkommenschaft zu sichern, muss stark bezweifelt werden. Bisweilen stammt der von Sondheimer Damen erwählte Mann nämlich auch aus dem Nachbarort. Und kommen dann Kinder zur Welt, muss sich der eine oder andere Bursche doch eingestehen: "Sind jetzt nicht auf meinem Mist gewachsen."

© SZ vom 13.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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