Mitten in Bayern:Nicht Deutschland, nicht Österreich

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Eine Studie hat es abermals belegt: Die Niederbayern fühlen sich der Nation nicht wirklich zugehörig

Kolumne von Hans Kratzer

Eine Haupteigenschaft der Bayern ist ihre "enorm hohe Verbundenheit zur Heimatregion". Das besagt eine neue Studie der Hanns-Seidel-Stiftung, deren Botschaft aus staatsbürgerlicher Sicht durchaus erfreulich klingt. Allerdings bestätigt sie auch die alte bayerische Neigung zur nationalen Wurstigkeit. Tatsächlich verstehen sich viele Bewohner des Freistaats vor allem als Bayern und erst in zweiter Linie als Deutsche. Am ärgsten treiben es diesbezüglich die Niederbayern. Sie identifizieren sich nämlich am allerwenigsten mit Deutschland. Ein Viertel aller Niederbayern fühlt sich laut Studie überhaupt nicht oder kaum mit Deutschland verbunden. Lagert also zwischen Isar und Inn separatistischer Sprengstoff, braucht Kanzlerin Merkel demnächst ein Visum, wenn sie nach Landshut oder Passau reisen will?

Noch sind die Grenzen durchlässig, aber Revolutionen und Aufstände können bei den Niederbayern jederzeit losbrechen. Ihre Vorfahren haben vor 7500 Jahren die ersten Bauernhöfe überhaupt errichtet, seitdem klebt dieser Stamm an der Freiheit und an der Scholle. Schon die Revolution von 1848 zeigte, wie schwer sich die Niederbayern mit der deutschen Nation taten. Erst recht bestätigte dies die legendäre Redeschlacht im Landtag nach der Reichsgründung von 1871, in der es darum ging, ob Bayern Teil des Deutschen Reiches werden sollte.

Ein Reich unter preußischer Führung wünschte damals vor allem das Bürgertum in den Industriestädten. Ostbayern begegnete diesem Wunsch mit grobem Widerstand, denn das neue Deutschland bedeutete dort, dass Österreich Ausland und Bayern Grenzland wurde. Nachdem es soweit war, wurde die Wut auf Berlin Teil des niederbayerischen Erbguts. In Deutschland wiederum galten die Niederbayern fortan als stockkonservativ, stockkatholisch und stockbsuffa, wie es der Kabarettist Bruno Jonas einmal ausdrückte.

Heute gilt das nicht mehr, eines aber schon noch: Der Niederbayer wird stocknarrisch, wenn ihn Berlin und Brüssel zu arg drangsalieren. Die Befindlichkeit dieses Landstrichs hat der ehemalige österreichische Kanzler Bruno Kreisky wohl am treffendsten beschrieben: Er fahre sehr gern hierher, sagte er, denn "da bin ich nicht mehr in Österreich und noch nicht in Deutschland".

© SZ vom 06.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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