Mitten in Bayern:Live von der Schmalznudel

Lesezeit: 1 min

Der Bayerische Rundfunk will noch regionaler werden. Der Preis: Er übernimmt die Nachrichten aus der weiten Welt künftig von der Tagesschau. Ein schlimmer Fall von Selbstverzwergung

Von Hans Kratzer

Als der Intendant Ulrich Wilhelm neulich vor den Chefs der Brauchtumsverbände bekräftigt hat, der Bayerische Rundfunk (BR) wolle noch bayerischer werden, da hätten bei Wilhelms Zuhörern sämtliche Alarmglocken schrillen müssen. Allerdings geschah genau das Gegenteil: Die Bayernbündler und Trachtler überschütteten den Sender angesichts des wuchernden Erfolgs von Regionalprogrammen wie BR-Heimat kübelweise mit Lob. Tatsächlich lässt sich eines nicht leugnen: So viel Heimat war im BR noch nie. Vom Zuspruch berauscht, will der Sender die Berichterstattung aus den Regionen nun noch weiter ausbauen. Vermutlich, so unken manche, wird die Oma keine Schmalznudel mehr backen können, ohne dass eine Kamera auf sie gerichtet ist.

Leider besteht Bayern aber nicht nur aus Wirtshäusern, Tanzböden und Bauernkuchln. Der Freistaat fußt auf einem der ältesten politischen Fundamente Europas. Der 1990 gestorbene österreichische Kanzler Bruno Kreisky hat einmal gesagt, er fahre gerne nach Bayern, denn "da bin ich nicht mehr in Österreich und noch nicht in Deutschland". Die Sonderstellung Bayerns, auf die Kreisky abzielte, ist das Resultat einer langen und schrägen Geschichte. Sie hat die Vielfalt des Landes begründet sowie das Selbstbewusstsein seiner Menschen. Nirgendwo ist der Staatsbegriff noch derart intakt wie in dieser oft beneideten Region mit ihren fast 13 Millionen Einwohnern.

Das gelegentliche Widerstandsgebrüll der Staatspartei CSU kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Hang zur Unabhängigkeit, seit jeher Haupttreibstoff weiß-blauer Politik, fast erloschen ist. Der bayerische Löwe ist peu à peu zahnlos geworden und mit ihm auch der Bayerische Rundfunk, der mit seinem neuen Programmschema im Großreich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten freiwillig in die zweite Reihe rückt. Die Nachrichten aus der weiten Welt wird das Bayerische Fernsehen künftig nicht mehr selber schöpfen und von seinen reizenden Sprecherinnen mit Münchner Zungenschlag verlesen lassen, sondern schnöde von der ARD-Tagesschau übernehmen. Bayerischer und regionaler zu werden, das hat seinen Preis. Der BR bezahlt ihn mit der Selbstverzwergung des stolzen Freistaats.

© SZ vom 30.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: