Mitten in Bayern:Glanz und Elend der Biertragl

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Viele Brauereien klagen, dass ihre Kunden die leeren Kästen und Kisten nicht zurückbringen. Das bewährte Tragl ist sowieso schon länger am Verschwinden

Kolumne von Hans Kratzer

Es ist schon öfter vorgekommen, dass in Bayern das Bier knapp wurde. Lustig war das nicht, denn ein Mangel an Bier entfachte stets eine Revolution. Umso alarmierender klingen die Hilferufe bayerischer Brauereien. "Jede Kiste zählt", fleht eine unter akutem Leergutmangel leidende Firma gerade ihre Kundschaft an. Aus unerfindlichen Gründen horten viele Kunden ihre leeren Bierkisten daheim statt sie zurückzugeben. Wenn sich dieser Mangel verstetigt, wird bald auch das Bier zur Mangelware.

Gott bewahre uns vor diesem Fiasko. Bisher hat schon eine Erhöhung des Bierpreises regelmäßig ins Verderben geführt. Wie einst in München, wo eine Horde aus Soldaten, Burschen und Weibsbildern plündernd durch die Straßen zog und sich "unter viehischem Gebrüll" betrank, wie eine Chronik vermeldet. Brauereien wurden verwüstet, überall lagen Verletzte. Es war fast wie im Krieg.

In Zeiten eines drohenden Bierkriegs aber klingt das Wort Kiste, das sich im Getränkehandel eingenistet hat, etwas martialisch. Immerhin ist es auch militärisch beleumundet, etwa durch die Munitionskiste. Außerdem ist das Wort Bierkasten in Deutschland sehr beliebt, wobei sich der Kasten auch als Schrank oder als Turngerät bewährt hat. Angesichts dieser rhetorischen Vielfalt ist es schade, dass das Wort Tragl in Vergessenheit geraten ist. Auch wenn es an jene harten Zeiten erinnert, als die Gebinde noch nicht aus Kunststoff, sondern aus Blech gefertigt waren oder gar aus dickem Holz, das sich bei Regen voll saugte. Die Bier- und Wassertragl waren dann schwer wie Kanonenkugeln. Wer sie als Bierfahrer drei Stockwerke nach oben oder metertiefe Keller hinunter schleppen musste, war bald krumm und bucklig. Wenn dann noch, was gerne passierte, die morsch gewordenen Unterlatten unter der Last der Flaschen durchbrachen, landeten die schweren Glasflaschen entweder auf den Zehen oder sie zerschellten jämmerlich am Boden.

Gerade im Tragl spiegeln sich also Glanz und Elend der Biergeschichte wider. Sollten die Brauereien aus Mangel an Tragln bald nicht mehr abfüllen können, wird die Geschichte wohl so enden, wie sie im alten Sauflied beschrieben ist. Dann landet das Gebräu eben "in einem Biersee, so groß wia da Schliersee ..."

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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