Mitten in Bayern:Entsorgung eines Nothelfers

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Früher war es selbstverständlich, sich den Blasiussegen abzuholen. Man erhoffte sich davon einen Schutz vor gefährlichen Halskrankheiten. Die moderne Medizin hat diesen Brauch fast in Vergessenheit geraten lassen

Kolumne von Hans Kratzer

Fast unbemerkt hat das katholische Bayern am Sonntag den Blasiustag begangen. Einst hatte dieser Tag eine große Bedeutung, nicht zuletzt, weil nach der Messe der Blasiussegen gespendet wird. Bei dieser Zeremonie hält ein Pfarrer zwei gekreuzte Kerzen vor den Kopf des Gläubigen, damit dieser durch die Fürsprache des heiligen Blasius vor Halskrankheiten bewahrt werde. Als es noch kein Penicillin gab, zählte Blasius zu den populärsten Nothelfern. Schließlich ging es bei Krankheiten des Halses oft um Leben und Tod, erst die moderne Medizin linderte die ärgste Not.

Zu den häufigen Leiden gehörte einst der sich durch Jodmangel bildende Kropfhals. Vor genau hundert Jahren starb Marie Therese, die letzte bayerische Königin. Auch sie hatte einen dicken Hals, weshalb sie volkstümlich die "kropferte Resl" hieß. Das durfte aber niemand öffentlich sagen. Vor vielen Jahren erzählte einmal eine alte Münchnerin, sie habe noch zu Lebzeiten der Königin einen Schulaufsatz schreiben müssen, in dem folgender Satz vorkommen sollte: "Die Königin mit ihrem Schwanenhals im Kreise ihrer Töchter." Die kluge Schülerin aber dachte sich: "Die hat doch einen Kropf!", und deshalb ließ sie den geforderten Satz weg. Die Lehrerin aber belohnte jene, die den Satz mit dem Schwanenhals zitierten, mit einem Einser, wer ihn wegließ, kassierte einen Vierer, die schlechteste Note, die damals vergeben wurde.

In Fällen wie diesem konnte nicht einmal der heilige Blasius helfen. Bei körperlichen Beschwerden aber trug er alle Hoffnungen. Die Menschen griffen gerne zu Hausmitteln, deren Wirkung sie durch die Schutzheiligen zu steigern versuchten. Sie flehten zum heiligen Erasmus, wenn sie Blähungen hatten, zum heiligen Blasius, wenn der Hals wehtat. In Zeiten ohne Diphtherie-Serum starb zeitweise jedes vierte Kind an dieser mörderischen Halskrankheit. In Niederbayern hat einmal ein verzweifelter Vater vier Kinder kilometerweit zu Fuß zum Doktor geschleppt. Vergebens. Am 6. Februar 1938 starben die Töchter des Bauern, drei und sechs Jahre alt, zwei Tage später die Söhne, zwei und fünf Jahre alt. Der massenhafte Kindstod durch Halsleiden ist zum Glück überwunden. Die Hilfe des Blasius ist nicht mehr gefragt, viele haben ihn sich bequem vom Hals geschafft.

© SZ vom 05.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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