Mitten in Bayern:Bayerische Klimaflüchtlinge

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Woher die ersten Bayern kamen, ist nicht ganz genau geklärt. Ein Mischvolk werden sie gewesen sein. Und interessanterweise tauchten sie nach einem großen Unglück zum ersten Mal auf

Kolumne von Hans Kratzer

Vor wenigen Tagen war den Zeitungen zu entnehmen, das Jahr 536 sei für die Menschheit die schlimmste Zeit seit Christi Geburt gewesen. Wissenschaftler der Universität Harvard fanden heraus, dass die Sonne nach Vulkanausbrüchen auf Island nicht mehr zu sehen war. Eineinhalb Jahre lang soll es in Europa auch tagsüber kaum hell geworden sein. Die Katastrophe hatte wohl für Jahrzehnte dramatische Folgen, Zeitgenossen berichten von Schnee im Sommer sowie von Missernten, Kriegen und Seuchen. Die Beulenpest soll die Hälfte der Bevölkerung des Oströmischen Reiches ausgelöscht haben.

Bei genauem Hinschauen fällt auf, dass just in diesen Unglücksjahren die ersten Bayern die Bühne der Geschichte betraten. Sie sind quasi über Nacht zwischen Donau und Alpen aufgetaucht. Im Jahr 551 werden sie in der Gotengeschichte des Jordanes erstmals erwähnt. Lange Zeit hieß es, der Stamm der Bayern sei aus dem Osten eingewandert. Die moderne Forschung geht eher davon aus, dass der Stamm aus einem Verschmelzungsprozess hervorgegangen ist. Die frühen Bayern waren demnach ein Mischvolk aus hier gebliebenen Römern und Kelten sowie zugewanderten Germanen, Franken, Langobarden und Ostgoten.

Das Klima freilich hatte kaum jemand auf dem Schirm. Nun drängt sich die Frage, welche Rolle es bei der Stammesbildung spielte, förmlich auf. Nach wie vor klafft zwischen dem Abzug der Römer aus Südbayern (488) und der ersten Erwähnung der Bajuwaren (551) eine Art dunkles Loch, in dem kaum etwas zu erkennen ist. Außer den Vulkanausbrüchen von 536, denen in den Jahren 540 und 547 noch weitere gefolgt sind.

Allzu idyllisch dürfte die Frühzeit der Bayern also nicht verlaufen sein. Möglicherweise waren sie Klimaflüchtlinge, wie es sie heute weltweit zuhauf gibt. Das jetzige Südbayern könnte damals zu einem Schmelztiegel geworden sein, vielleicht waren die Lebensbedingungen hier etwas erträglicher. Jedenfalls rotteten sich Menschen aus ganz Europa in dieser Gegend zusammen, viele kamen, wie ihre Gräber beweisen, aus der Schwarzmeerregion. Ihre Sitten und Gebräuche dürften rau gewesen sein. "Wegelagernde Grobiane" nannte der Pilger Venantius Fortunatus die Bayern im Jahr 565.

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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