Minderheit:Ernüchterung nach einem Jahr

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Als der Staatsvertrag mit den Sinti und Roma unterzeichnet wurde, wähnte sich deren Verbandsvorsitzender Erich Schneeberger am Ziel. Das sieht er nun anders

Von Dietrich Mittler, Nürnberg

Die zurückliegenden zwölf Monate hat Erich Schneeberger oft an diesen Moment gedacht: Am 20. Februar 2018 konnte er Bayerns damaligem Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) über die Schulter blicken, als der in München im Prinz-Carl-Palais den Staatsvertrag mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma unterzeichnete. Als Landesvorsitzender dieses Verbandes hatte sich Schneeberger in diesem Augenblick am Ziel seiner Bemühungen gesehen. Viele Jahre lang hatte er darum gerungen. Um einen Staatsvertrag, in dem sich der Freistaat zum Schutz der Minderheit verpflichtet.

Ein Jahr später wirkt der im Nürnberger Süden lebende 68-Jährige ernüchtert: "Bisher sehe ich keine großen Fortschritte, dass der Staatsvertrag irgendetwas bewirkt hätte", sagt er. Dabei wurde bereits in der Präambel notiert, der Freistaat werde im Sinne der Sinti und Roma "zu ihrer Wertschätzung in Staat und Gesellschaft" das Seinige tun. Am 26. März, will sich Schneeberger nun mit Ludwig Spaenle (CSU) treffen, dem früheren Kultusminister und jetzigen Antisemitismusbeauftragten der Staatsregierung - und dann wird es genau um diesen Punkt gehen. Sinti und Roma hätten noch immer unter starken Vorbehalten und unter Ausgrenzung zu leiden, sei es im Berufsleben oder bei der Wohnungssuche. "Da muss der Staatsvertrag gegensteuern", sagt Schneeberger. Wer ihn kennt, weiß, dass er diese Forderung immer wieder erheben wird, stets leise und freundlich, aber ebenso unbeirrbar.

Erich Schneeberger, der Vorsitzende des Landesverbandes der Sinti und Roma, und der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer vor einem Jahr im Prinz-Carl-Palais. Auf den Moment hatte Schneeberger lange gewartet. (Foto: Robert Haas)

Das Schicksal seiner Eltern hat Schneeberger geprägt. "Ich stamme aus einer sehr belasteten Familie", sagt er. Sein Vater war im KZ Auschwitz, die Mutter auch - und etliche weitere Familienmitglieder von ihm kamen in Konzentrationslagern ums Leben. Nach dem Krieg aber mussten seine Eltern um jeden Pfennig Entschädigung kämpfen, wie so viele andere deutsche Sinti auch. Und da zählte es auch nichts, dass der Mutter in einem Rüstungsbetrieb durch aggressive Gase die halbe Lunge weggefressen worden war. "Meine Mutter ist bei der Wiedergutmachung schwer betrogen worden, und das war eigentlich der Antrieb, warum ich in die Bürgerrechtsarbeit eingestiegen bin", sagt er.

Die rebellische 1968er-Zeit habe ihm dabei die Augen geöffnet, damals ging er noch in die Lehre, eine Ausbildung als Farben- und Chemie-Kaufmann, die er in Passau absolvierte. 1988 wurde dann in Nürnberg der Landesverband der Sinti und Roma gegründet, mit dabei als einfaches Gründungsmitglied: Erich Schneeberger. Was den Sinti und Roma von den Nazis angetan worden war, dafür brauchte Schneeberger keinen Geschichtsunterricht. "Mein Vater hat mir sehr viel erzählt, auch wie er als 17-Jähriger von der Arbeitsstelle weg verhaftet worden war und ins KZ kam", sagt er. Und dann die Weihnachtszeit - für andere Familien ein freudiges Fest. "Weihnachten war schrecklich", sagt Schneeberger, "da hat mein Vater sehr viel geweint und hat immer von seinen Geschwistern erzählt, von seinen Eltern, die das Grauen nicht überlebt hatten."

Immer wieder zieht es Erich Schneeberger ins niederbayerische Osterhofen, dort liegen seine Eltern begraben. Zu Lebzeiten hatten sie sich dort ein Haus gebaut und darin endlich ein Zuhause gefunden - nach einer langen Odyssee, die in Stuttgart nach der Befreiung aus dem KZ eine entscheidende Wende gefunden hatte: Schneebergers Vater und Mutter hatten sich dort kennengelernt. In Stuttgart erblickte Erich Schneeberger auch das Licht der Welt. Von dort zog die junge Familie nach Nürnberg. Als sich die Pläne für ein eigenes Häuschen zerschlugen, bot sich der Umzug nach Niederbayern an.

In Osterhofen leben heute noch zahlreiche Verwandte. "Dort sind sie in der Gesellschaft angekommen", sagt Schneeberger. Doch er weiß, vielerorts müssen Sinti und Roma noch immer um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen. Und da fällt dem 68-Jährigen gleich ein Beispiel ein: Auf etlichen Zeltplätzen in Bayern werde ihnen im Urlaub mit ihren Campingwagen der Zutritt verwehrt. Einer seiner Freunde, selber Pächter von einem Campingplatz, habe ihm da einmal von einem merkwürdigen Vorfall berichtet: Mehrere Campingplatz-Pächter hätten sich demzufolge zusammengesetzt, um folgendes Problem zu lösen: "Wie halten wir deutsche Sinti von unseren Plätzen fern, ohne sie zu diskriminieren."

Erich Schneeberger lacht, als er diese Episode erzählt - so wie er oft lacht, wenn er empört ist. "Eine Frechheit ohnegleichen", sagt er dann. Auch dieses Thema bringt ihn, den deutschen Sinto, in Wallung: "Roma aus Rumänien und Bulgarien, werden hier zum Beispiel als Bauarbeiter oder Erntehelfer bis aufs Blut ausgebeutet", sagt er. Und dann würden diese Leute auch noch diffamiert, "dass sie unseren Sozialstaat ausplündern wollen". Aber auch für viele Sinti, die ja alle einen deutschen Pass haben, müsse künftig noch weit mehr passieren - darunter auch Hilfen, dass die jungen Leute in einen Ausbildungsplatz kommen. "Es gibt noch viel zu tun, den Staatsvertrag mit Leben zu füllen", sagt Schneeberger.

© SZ vom 21.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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