Nach Attacke in Jobcenter:Auf Gutachter eingestochen, "um ihn zu töten"

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Abgesperrter Tatort: Am 3. Dezember 2014 hatte der Angeklagte im Jobcenter von Rothenburg ob der Tauber einen 61-jährigen Mitarbeiter erstochen. (Foto: dpa)
  • Ein 29 Jahre alter Mann ersticht im Jobcenter von Rothenburg ob der Tauber einen Psychologen, deshalb muss er sich nun vor Gericht verantworten.
  • Nach Verlesung der Anklage schloss das Ansbacher Landgericht die Öffentlichkeit zeitweise von der Verhandlung aus.
  • Der Richter begründete dies mit Details zum Gesundheitszustand des Angeklagten.

Von Katja Auer, Ansbach

Der junge Mann ist im Dezember 2014 pünktlich um 10.45 Uhr zu seinem Termin im Jobcenter in Rothenburg erschienen. Da sollte ihm eröffnet werden, wie es um seine psychische Gesundheit bestellt ist und ob er in der Lage sei, einer normalen Arbeit nachzugehen. Ist er nicht, urteilte ein Gutachter, stattdessen benötige er eine Therapie. Anderthalb Stunden später war der 61-jährige Psychologe tot, erstochen von dem Mann, dem er kurz zuvor eine unterdurchschnittliche Intelligenz attestiert hatte. Der 29-Jährige steht nun vor dem Landgericht Ansbach, angeklagt wegen Mordes.

Als er am Montag in den Saal geführt wird, hält sich der Mann einen Ordner vor das Gesicht, über den Kopf hat er sich die Kapuze seines roten Anoraks gezogen. Er ist mit Handschellen gefesselt, das rechte Bein wippt unablässig als er sich neben seinen Verteidiger gesetzt hat. Neben der Anklagebank steht eine Flasche Eistee. Der Mann soll für die Allgemeinheit gefährlich sein, deswegen ist er seit der Tat in einer Klinik in Erlangen untergebracht. Einen Wohnsitz außerhalb der Psychiatrie habe er nicht mehr, sagt er dem Richter.

Was ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft

Der Angeklagte habe nicht im Affekt gehandelt, davon ist der Staatsanwalt überzeugt. Stattdessen habe er sich so darüber geärgert, dass ihm der Gutachter eine schizophrene Psychose bescheinigt hatte und ihn zudem für wenig intelligent hielt, "dass er im Laufe des Gesprächs den Entschluss fasste, den Gutachter wegen seiner Äußerungen zu töten".

Also ging er nach seinem Termin in einen Laden in Rothenburg, kaufte ein Küchenmesser und kehrte zurück. "Dort äußerte er, dass es ihm leidtue, aber er müsse das jetzt zu Ende bringen", sagt der Staatsanwalt. Dreimal habe der Angeklagte mit dem Messer auf den Gutachter eingestochen, "um ihn zu töten". Der saß auf einem Stuhl und habe nicht die geringste Möglichkeit gehabt, sich zu verteidigen oder zu fliehen. Ein Stich traf den 61-Jährigen ins Herz. Er starb noch im Jobcenter.

Wegen seiner psychischen Krankheit sei seine Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen, heißt es in der Anklageschrift. Der Verteidiger des jungen Mannes will hinter verschlossenen Türen verhandeln, er beantragt, die Öffentlichkeit auszuschließen, weil es auch darum geht, ob der Angeklagte weiter in der Psychiatrie bleiben soll. Das Gericht stimmt zu, der Angeklagte und die meisten Zeugen sowie der psychiatrische Sachverständige sollen in nichtöffentlicher Sitzung vernommen werden.

Wie der Angeklagte die Tat schildert

Seinen Verteidiger lässt der Angeklagte eine Erklärung verlesen, in der er die Tat weitgehend einräumt, wie ein Gerichtssprecher anschließend sagt. Er sei an jenem Tag aufgestanden, habe zwei Haschisch-Pfeifen geraucht und sich auf den Weg zum Arbeitsamt gemacht.

Dort sollte ihm ein psychiatrisches Gutachten eröffnet werden, das sein späteres Opfer erstellt hatte. Er würde gerne Nachhilfe in Mathematik geben, soll er zu seiner Beraterin gesagt habe, doch der Psychologe habe ihn für nicht arbeitsfähig gehalten und ihm eine Therapie empfohlen. Er habe Angst gehabt, in einer Psychiatrie eingesperrt zu werden, lässt der Angeklagte nach Angaben des Gerichtssprechers vortragen, deswegen sei es zum Streit mit dem Gutachter gekommen. Der habe ihn mehrmals gefragt, ob er ein Messer bei sich habe oder eine andere Waffe. Als er den Raum verlassen habe, habe er noch gesagt: "Dann hau' ich euch aufs Maul."

Nach Angriff im Jobcenter
:28-Jähriger kaufte Messer direkt vor der Tat

Nach der tödlichen Messerattacke im Jobcenter herrscht Fassungslosigkeit in Rothenburg ob der Tauber. Das Motiv des Täters bleibt weiter im Dunkeln. Der inhaftierte 28-Jährige hatte sich das Messer erst nach einem Termin mit dem Opfer besorgt - und kehrte dann zurück.

Von Olaf Przybilla

Als er das Jobcenter verließ, sei er wegen der Fragen des Gutachters auf die Idee gekommen, sich ein Messer zu besorgen, zitiert der Sprecher aus der Erklärung. Fünf Euro habe es gekostet und eigentlich habe er sich damit selbst verletzen und andere bedrohen wollen. Der Versuch, sich selbst in die linke Schulter zu stechen, sei aber missglückt. Der Angeklagte ging zurück zum Jobcenter, lässt er verlesen, und marschierte direkt ins Zimmer seiner Beraterin in der ersten Etage, wo sie noch immer mit dem Gutachter zusammensaß. Zweimal will er zugestochen haben, dann setze seine Erinnerung aus. Er sei erst wieder zu sich gekommen, als er von einem Mitarbeiter des Jobcenters überwältigt wurde. Als er später hörte, dass der Psychologe gestorben sei, habe er das nicht glauben können.

Der Gerichtssprecher berichtet auch noch von der Erklärung des jungen Mannes, dass es ihm sehr leid tue und er alles geben würde, um die Tat ungeschehen zu machen. Er sei bereit, seine Strafe dafür zu übernehmen, wohlwissend, dass es keine Strafe gebe, die seine Tat tilgen könne.

Die Beraterin im Jobcenter war offensichtlich derart eingeschüchtert vom ersten Zusammentreffen mit dem jungen Mann, dass sie die Polizei anrief, als er ihr Büro wieder verlassen hatte. Sie habe sehr aufgeregt geklungen, sagt ein Polizist als Zeuge vor Gericht. Er habe gedroht, sie abzustechen, habe sie am Telefon gesagt. Also sei eine Streife losgeschickt worden. Zu spät allerdings, gleichzeitig kam schon der Notruf, dass jemand mit einem Messer im Jobcenter verletzt worden sei.

Die Ehefrau des Gutachters und seine zwei Kinder treten als Nebenkläger auf. Für den Prozess sind drei Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil soll voraussichtlich am 28. Oktober verkündet werden.

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