Lokalpolitik:So wahr ihnen Gott helfe

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Die CSU-Gemeinderäte in Karlstein sollen auf die Heilige Schrift versprechen, dass sie keinen SPD-Mann wählten. Einem pensionierten Lehrer geht das zu weit

Von Olaf Przybilla, Karlstein

Richard Pfannmüller war mal Studiendirektor, an einem Gymnasium am Rande des Spessarts unterrichtete er Geschichte und katholische Religionslehre. Und vielleicht ist das ein wichtiger Hinweis, um zu verstehen, wie Pfannmüller reagiert hat, als sie in der Fraktionssitzung der CSU im unterfränkischen Karlstein plötzlich eine Bibel auf den Tisch gelegt haben. Eine Bibel? Pfannmüller, 66, weiß sehr wohl etwas mit der Heiligen Schrift anzufangen. Und er kennt das kommunale Geschäft, immerhin ist er seit stolzen 36 Jahren Gemeinderat in Karlstein und obendrein Zweiter Bürgermeister der Kommune im Kreis Aschaffenburg. Was aber eine von Hand zu Hand weitergereichte Bibel in der CSU-Fraktionssitzung zu suchen hat, das erschloss sich Pfannmüller nicht. Dass er etwas mit der Hand auf der Heiligen Schrift bekräftigen sollte, das freilich verstand er schon. Er tat es nicht.

Man muss diese Geschichte an der Stelle kurz unterbrechen, weil sie im Jahr 2019 womöglich doch zu abenteuerlich klingt. Da wird in einer CSU-Sitzung eine Bibel ausgepackt, sie geht von CSU-Gemeinderat zu CSU-Gemeinderat, die Räte legen einer nach dem anderen die Hand auf die Heilige Schrift und versprechen, dass sie nicht der böswillige Abweichler gewesen sind, nach dem mit hochnotpeinlicher Wucht gesucht wird in den Reihen der Karlsteiner CSU. Das kann eigentlich nur Parteien-Schmu sein, bestenfalls eine bizarre Nachkriegsanekdote mit höchstens halbem Wahrheitsgehalt oder eine durchgeknallte Szene aus einem Bayern-Heimatfilm eines fantasiebegabten Regisseurs aus irgendeiner Hansestadt. Oder, Herr Merget?

Roland Merget ist Fraktionsvorsitzender der CSU in Karlstein. Er könnte sich diese Geschichte nun anhören, dann in Lachen ausbrechen, an die publizistische Seriosität appellieren und die Story in Bausch und Bogen dementieren. Tut er aber nicht. Diese Frage, sagt er, beziehe sich auf den nicht-öffentlichen Teil einer Sitzung, deshalb habe er nicht vor, dies zu kommentieren. Wenn sich andere daran nicht gebunden fühlten, so sei dies deren Sache. Also bestätigt er nicht, dementiert aber auch nicht? "Keine Bestätigung, kein Dementi", sagt Merget. Im Übrigen kenne er Berichterstattung, in der es lediglich darum gehe, "die CSU schlecht zu machen".

Zurück also zu Pfannmüller, dem pensionierten Religionslehrer. Dem gehe es mitnichten darum, die CSU schlechtzureden, sagt er. Er habe auch nicht vor, aus der Partei auszutreten nach all den Jahren. Aber in einer Krisensitzung auf die Bibel zu bekräftigen, dass man die Wahrheit sage und in der entscheidenden Abstimmung parteikonform votiert habe - nein, das gehe dann doch zu weit. Pfannmüller hat, wie gesagt, auch Geschichte unterrichtet. Er will nur andeuten, an was ihn dergleichen erinnere. Aber eines formuliert er ziemlich präzise: "Das verstößt gegen Artikel 4 des Grundgesetzes", in dem die Freiheit des Gewissens geregelt sei. Was, beziehungsweise wen er bei der besagten Abstimmung gewählt habe, das werde er unter allen Umständen für sich behalten. Wem der Hinweis aufs Grundgesetz zu wuchtig sei, der dürfte sich auch mit Artikel 51 der Gemeindeordnung begnügen: Wahlen werden in geheimer Abstimmung vorgenommen.

Es war so in Karlstein: Mit elf Gemeinderatsmitgliedern stellt die CSU die Mehrheit im Rat, sie allein bestimmte lange Zeit, wer die Ämter in der Gemeinde bekam. Als es um die Wahl des Dritten Bürgermeisters ging, war die Ausgangslage klar: eine CSU-Bewerberin und, vermeintlich pro forma, auch ein Gegenkandidat der SPD. Dritter Bürgermeister wurde dann mit einer Stimme Vorsprung der Sozialdemokrat, entgegen den Mehrheitsverhältnissen. Und in der CSU sollen anschließend Worte wie "Verräter" - und ganz biblisch - "Judas" die Runde gemacht haben. Also fand man sich zur Problemsitzung zusammen.

In der dann die Bibel gereicht wurde mit der Bitte, man möge die Hand darauflegen und bekräftigen, die richtige Kandidatin gewählt zu haben. Zufällig war Pfannmüller der letzte in der Reihe, der elfte Mann an der Bibel. Dass er die Hand darauflegen sollte, damit hatte er kein Problem. Mit der Erklärung, wen er gewählt hat, schon.

Für interessierte Dokumentarfilmer: Die Bibel kreiste schon vor etwa einem halben Jahr in der Karlsteiner CSU. Pfannmüller, immerhin stellvertretender Bürgermeister des Ortes, erzählt, dass er seither "geschnitten" werde von einschlägigen Kreisen. Die Sache mit der Bibel aber blieb monatelang geheim. Bis die CSU nun die Liste für die Kommunalwahl im nächsten Jahr aufgestellt und das Main Echo bei Pfannmüller angefragt hat, warum er denn da nicht draufstehe. Er habe sich ganz unabhängig von der Partei entschieden, nach 36 Jahren mal was anderes zu machen, sagte er. Und die Sache mit der Bibel hat er nebenher auch noch erzählt.

© SZ vom 26.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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