Loisachtal:So wird der längste Straßentunnel Bayerns gebaut

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  • 2022 soll der Tunnel bei Oberau fertig sein.
  • Bisher rollen an manchen Tagen 45 000 Fahrzeuge durch den kleinen Ort.
  • Arbeiter sprengen sieben Tage die Woche Gesteinsbrocken aus dem Berg.

Von Matthias Köpf, Oberau

Alle sind draußen, für ein paar Sekunden kehrt eine routinierte Ruhe ein, und der Mann, der direkt in Verlängerung der Röhre auf einem Schutthaufen steht, presst sich unter der Helmkante die Handflächen auf die Ohren, breitbeinig wartend. Dann dringen drei dumpfe Schläge tief aus dem Berg, die Druckwelle verebbt im Tal der Loisach.

Hinter den gelben Containern rauscht auf der B 2 unbeeindruckt Auto an Auto, Lastwagen an Lastwagen vorbei. Kaum hat der Ventilator den übermannsdicken gelben Schlauch an der Decke wieder mit Luft gefüllt und den weißen Rauch aus dem Dunkel gedrückt, dröhnt auch hier am Tunnelportal wieder der Verkehr.

Der Radlader voraus, dann rückwärts der erste, flach und breit gebaute Muldenkipper. Drinnen mischt sich der Sprengstoffdunst mit dem Dieselgestank, die erste Mulde ist voll mit Felsbrocken und schlängelt sich an der nachrückenden nächsten vorbei ins Helle hinaus. Hier hat niemand Zeit zu verlieren.

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In ein paar Stunden soll noch ein drittes Mal gesprengt werden, wieder vier Meter weiter in den Berg. Und in zwei Jahren wollen die Tunnelbauer knapp drei Kilometer weiter auf der anderen Seite wieder ans Licht kommen. 2022 soll die Ortsumfahrung von Oberau fertig sein.

Die Weströhre, die dann den Verkehr Richtung Garmisch-Partenkirchen und weiter nach Innsbruck aufnehmen soll, haben die Arbeiter schon 340 Meter in den Berg getrieben. Der obere, Kalotte genannte Teil der Röhre, verliert sich trotz der alle 25 Meter angebrachten senkrechten Neonröhren in einer sanften Biegung weit hinten in der Finsternis. Derzeit sprengen die Arbeiter etwa auf halber Strecke die sogenannte Strosse hinterher, mit zwölf Metern die breiteste Stelle des Tunnels. Dann folgt die Sohle, die die Röhre nach unten abrunden und irgendwann die Fahrbahn tragen wird.

Wie die Arbeit abläuft

Die Männer am vordersten Punkt der Baustelle verständigen sich schweigend, nur mit Gesten, sie alle haben Gehörschutz in den Ohren. Viel zu sagen gäbe es nicht, die Abläufe wiederholen sich sieben Tage die Woche rund um die Uhr. Die Arbeit ist hart, vieles wird auch von Hand erledigt, Pickel, Hacken und schwere Hämmer hängen griffbereit im Stahlgeflecht der Tunnelwand. Die Frisuren unter den Helmen sind entsprechend pflegeleicht.

Zwölf Stunden im Tunnel, zwölf Stunden frei, zum Schlafen in der Containersiedlung drüben beim Oberauer Sportplatz. Dann wieder Schicht im Tunnel. Zehn Tage geht das so, dann fahren die Mineure für fünf Tage heim zu ihren Familien in die Slowakei oder nach Kroatien. Nur ein paar Vorarbeiter und Mechaniker kommen aus Österreich oder der Schweiz, dem Sitz der Firma.

Das Sagen auf der Baustelle hat ein unaufgeregter Oberpfälzer mit randloser Brille, angegrautem Schnauzbart, Wohnsitz im nördlichen Franken und einem entsprechend gemischten Zungenschlag. Volkmar Schneider arbeitet für ein großes Innsbrucker Ingenieurbüro, "Oberbauleiter" steht an der Tür seines kargen, aber großen und hellen Büros im ersten Stock der dreigeschossigen gelben Containerburg.

Schneider hat auch schon gewaltige Kavernen für chinesische Wasserkraftwerke in den Himalaja gehöhlt und Trinkwasserpipelines den Weg durch saudische Wüstengebirge freigesprengt. Drei Kilometer durch Kalk und Dolomit - immerhin der derzeit längste Straßentunnel Bayerns - wären da keine große Sache, und mehr als 120 Meter Fels am Mühlberg und am Kirchbichl werden über der Röhre auch nicht liegen.

Aber die "Überdeckung" wird für Tunnelbauer vor allem dann interessant, wenn sie sehr gering ist, wie zwischen Mühlberg und Kirchbichl im Gießenbachtal, wo neben dem Bach auch die B 23 von Oberammergau und Ettal herunter nach Oberau kommt.

Hier wird der Tunnel keine acht Meter unter einigen Industriegebäuden hindurchführen. Rund um die Hallen wurden tiefe Schächte gebohrt, von denen ein insgesamt sechs Kilometer langes Netz von dünnen Querbohrungen abgeht. In diese Löcher soll Zement gepresst werden, um den Boden im gleichen Maß anzuheben, in dem er sich durch den Tunnel senken wird. "Da wird's dann schon interessant", sagt Volkmar Schneider mit freundlicher Vorfreude.

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Dass der Berg rund um die Röhre noch ein wenig arbeitet, ist bei dieser Tunnelbauweise einkalkuliert. Überall an der Decke und an den Wänden sind kleine Spiegel im Stein befestigt. Ihre Lage wird minutiös per Laser vermessen, und auch die Geologen ziehen laufend Proben. 20 Meter hinter dem Ort der Sprengung sollte nach drei oder vier Tagen aber schon Ruhe einkehren in den Fels, sagt Schneider.

Anderenfalls muss er sich etwas einfallen lassen, und zwar am besten etwas Besseres und vor allem etwas Billigeres als sein dauernder Verhandlungspartner von der Tunnelbaufirma. Die würde in so einem Fall gerne Extrakosten für zusätzliche Leistungen abrechnen, denn ihre Standard-Leistungen müssen die Unternehmen äußerst knapp kalkulieren, um bei öffentlichen Ausschreibungen an Aufträge wie diesen zu kommen.

Dagegen soll der Oberbauleiter Schneider für die federführende Fachstelle Tunnelbau bei der Autobahndirektion Südbayern die Baustelle und vor allem auch das Geld zusammenhalten. 204 Millionen Euro will der Bund für den Oberauer Umfahrungstunnel ausgeben - zur allgemeinen Überraschung, denn das seit Jahrzehnten diskutierte und 2010 genehmigte Projekt schien mit dem Aus für die Münchner Olympia-Bewerbung für die Winterspiele 2018 wieder auf der langen Bank zu landen, bis Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vor zwei Jahren das Geld für das Großprojekt in seinem Wahlkreis freigab.

Was der Tunnel bringen soll

Doch wer die Oberauer nun um ihren Abgeordneten beneidet, der wird sie andererseits schwerlich um die 45 000 Fahrzeuge beneiden, die sich an Spitzentagen durch den Ort wälzen, wenn all die Ausflügler, Urlauber oder Skifahrer in die Berge streben. Die 20 Kilometer vom Ende der Autobahn A 95 bei Eschenlohe bis südlich von Garmisch sind für sie alle ein berüchtigtes Nadelöhr.

Für den Durchgangsverkehr wird der Oberauer Tunnel mit seinen zwei Fahrspuren pro Richtung wohl einen Fortschritt, aber noch nicht den Durchbruch bedeuten. Einen nördlich anschließenden Tunnel durch den Auerberg bis zum Ende der A 95 bei Eschenlohe darf die Autobahndirektion vorerst nur weiterplanen. Im Süden ist für den Kramertunnel als Umfahrung von Garmisch eine Ehrenrunde im Planfeststellungsverfahren nötig, weil sich 2013 im Erkundungsstollen große Probleme mit lockerem Gestein und Grundwasser offenbarten.

Der Tunnel in Oberau, der anders als der Kramertunnel auch unter Naturschützern kaum Gegner hat, hält bisher nur kleinere Überraschungen bereit. So haben die Geologen Spuren von Thallium entdeckt - eigentlich ein Allerwelts-Schwermetall, wie es daher wohlweislich kaum gesucht wird.

Doch die staatliche Autobahndirektion muss es genau nehmen - und nun den betreffenden Abraum teuer auf Deponien entsorgen. Die ganze Baustelle war selbst einmal Deponie. Hier haben die Oberauer in einem aufgelassenen Gipsbruch ihren Müll entsorgt, die Beseitigung der Altlasten habe allein vier Jahre gedauert, erläutert Josef Seebacher von der Autobahndirektion im gelben Containerstapel.

In der erst 70 Meter tiefen Oströhre des Tunnels nagt unterdessen noch ein Bagger das lockerere Gestein aus dem Berg. In der Weströhre haben die Mulden inzwischen die abgesprengten Brocken abtransportiert. Die Arbeiter haben die stählerne Armierung im rohen Fels verankert und darauf den Beton gespritzt, der die Wand stabilisiert.

Jetzt ist die Tunnelbaumaschine am Werk, die sich wie ein vielbeiniges Insekt hydraulisch in den Boden stemmt und mehrere vier Meter tiefe Löcher gleichzeitig in den Stein bohrt. In die wird gleich der flüssige Sprengstoff gepumpt, den der Sprengmeister auf einem umgebauten norwegischen Armeelaster aus zwei Komponenten zusammenmischt. Dann wieder alle nach draußen. Kurzes Warten.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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