Leihhäuser:"Sehen Sie, das war doch gar nicht so schlimm bei uns"

Lesezeit: 4 min

Anders als früher nimmt Schätzerin Manuela Zeis heute nur noch Edelmetalle an. (Foto: Peter Roggenthin)

Das Nürnberger Leihhaus besteht seit 400 Jahren, für einen Wertgegenstand gibt es dort einen schnellen Kredit - ohne Schufa-Auskunft.

Von Julia Huber, Nürnberg

Die Frau legt ihre Goldkette vor Manuela Zeis auf den Tresen und will nur eine einzige Zahl von ihr wissen: den Wert. Ob er reichen wird, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Sie will schnell weg. Sie duckt sich hinter dem Sichtschutz am Schalter des Nürnberger Leihhauses. Ein Blick über die Schulter, ob sie jemand erkennt. Die Schätzerin Zeis, 47, kennt das. Die Hemmungen, die Scham. Pfandleihhaus, das ist was für die anderen. Zeis lächelt die Frau an und sagt: "Ich sehe mir die Kette gerne an."

Wer spontan Geld braucht, kann zu Zeis kommen und einen wertvollen Gegenstand mitbringen. Sie schätzt ihn und vergibt einen Kurzkredit dafür - für drei Prozent Zinsen monatlich. Zeis arbeitet im Leihhaus am Nürnberger Unschlittplatz, einem von etwa drei Dutzend Pfandleihhäusern in Bayern. Leihhäuser profitieren von den Verzweifelten. Sie machen Geschäfte mit denen, die in der Klemme stecken.

Altersarmut
:Nach dem Arbeitsleben kommt die Armut

Auch im reichen Bayern hat die Altersarmut erschreckende Ausmaße angenommen. Viele Rentner müssen Kredite aufnehmen oder wieder arbeiten gehen.

Von Dietrich Mittler und Ulrike Schuster

Mit der Rentnerin, die das Zahngold ihres toten Mannes versetzt. Mit dem Genie, das sich Geld leiht und es für Schnaps und Tabletten ausgibt. Oder mit der nervösen Frau, die ihre Stromrechnung bezahlen muss, aber nicht kann. Sie alle stehen am Ende an Zeis' Tresen im Nürnberger Leihhaus. Mit Ringen, Uhren, Ketten, Silbergeschirr oder Münzen.

Bis vor 20 Jahren schleppten sie auch noch Pelze, Töpfe, Bettwäsche oder Wolle an. "Damals hatten die Dinge noch einen anderen Wert als heute", sagt Wolfgang Jeske, einer der beiden Geschäftsführer. Auf dem Dachboden des Leihhauses ragen lange Eisenstangen durch den Raum. Hier hing früher kreuz und quer alles, was irgendwie wertvoll war. Wie in einem Trödelladen. Heute ist der Dachboden leergefegt. Es gibt Probleme mit der Statik. Und ohnehin will niemand mehr für gebrauchte Bettwäsche oder alte Wolle zahlen. Das Leihhaus nimmt nur noch Edelmetalle.

Einer der das vergessen hat, kommt zur Tür herein. "Oh je, schon wieder", murmelt Zeis. Der Herr mit dem schlohweißen Haar hat früher oft Habseligkeiten beliehen. Nun stellt er zwei bauchige Becher aus Holz auf den Tresen, "die möchte ich abgeben". Der Mann ist dement, er kommt alle paar Wochen mit Dingen, die das Leihhaus längst nicht mehr annimmt. Zeis muss ihn abwimmeln. Ihr Kollege seufzt: "Wie oft will der noch kommen?"

Junge Leute kommen nur selten

Etwa 2000 Menschen kommen pro Jahr ins Nürnberger Leihhaus, 15 000 Gegenstände werden beliehen. Zwischen 40 und 55 Jahre ist der durchschnittliche Kunde alt. "Unter den 20- bis 30-Jährigen werden sie keinen finden, der ins Pfandleihhaus geht", sagt Geschäftsführer Jeske. Das Leihhaus Nürnberg nimmt weder Smartphones noch Laptops an - zu schnell ist der Wertverfall. Dabei sind genau das die Dinge, für die junge Menschen ihr Geld ausgeben. Nicht für Silbergeschirr und schwere Goldamulette.

Das Modell Pfandleihhaus mag altmodisch klingen, doch es bringt einen Vorteil mit sich: Es bietet schnelle Hilfe, ohne Nachfragen, ohne Urteil. Banken wollen die Schufa-Auskunft sehen und prüfen die Bonität. Zeis ist es egal, woher ihre Kunden kommen, sie hat Verständnis für die Leute. Schließlich könne jeder mal in finanzielle Schwierigkeiten geraten, sagt sie. Wer ein Wertstück mitbringt, bekommt eine Chance.

400 Jahre gibt es das Nürnberger Leihhaus schon, Kundschaft gibt es genug. Anderswo sinkt die Nachfrage, das städtische Leihamt in Augsburg, mit 415 Jahren das älteste in Deutschland, wird Ende 2018 schließen. Das Image der Leihhäuser ist nicht das beste, ein Münchner Leihhaus-Betreiber verglich das Geschäft mal mit einem Bordell: "Millionen gehen hin, aber erfahren soll es möglichst keiner."

Einmal kam eine alte Dame in Nürnberg zu Manuela Zeis. Ohne Bleibe, krank vor Sorge. Sie brachte allen Schmuck, den sie von ihrem Mann geschenkt bekommen hatte. Ringe, Armbänder, Antikes. Der Mann war fremdgegangen und hatte sich eine Jüngere ins Haus geholt. Zeis unterhielt sich über die Jahre immer wieder mit der Kundin. Und freute sich mit ihr, als sie zum letzten Mal ins Leihhaus kam. Der Mann war gestorben, die Kundin hatte sein Vermögen geerbt. "Schwarzer Humor", sagt Zeis. "Aber ich gönne ihr, dass sie endlich keine Geldsorgen mehr hat."

Manuela Zeis prüft, ob das Schmuckstück echt ist. Erst dann entscheidet sie, ob sie ein Darlehen dafür geben kann. (Foto: Peter Roggenthin)

Zeis arbeitet seit bald 20 Jahren im Pfandleihhaus. Nach ihrer kaufmännischen Ausbildung hat sie bei einem Juwelier gearbeitet - daher ihre Fachkenntnis über Gold, Silber und Diamanten. Trotzdem ist es nicht die Arbeit mit den Edelmetallen, sondern die mit den Kunden, die ihr an ihrem Beruf am besten gefällt: "Ich freue mich, wenn ich ihnen die Angst vor dem Pfandleihhaus nehmen kann."

Ein andermal kam ein Mann Mitte 40, der sich erst mit HIV angesteckt und dann seinen Job verloren hatte. Weder die Miete noch den Tierarzt für seinen Hund konnte er noch bezahlen. Er brachte alten Schmuck. Zeis drückte immer wieder ein Auge zu, zahlte mehr Geld aus als gewöhnlich. Vor einem Jahr kam der Kunde und erzählte ihr, dass er wieder einen Job gefunden habe. Zeis sagt: "Er hat sich nicht aufgegeben, sondern den Sprung zurück ins normale Leben geschafft."

Manche Geschichten nimmt Zeis mit nach Hause. Eine Kundin kannte sie vom Sehen, aus einem Geschäft nebenan. Um Schulden abzubezahlen, versetzte die Kundin einen Brillantring mit Perle - "wunderschön", sagt Zeis. Immer wieder verlängerte die Kundin den Pfandschein, doch irgendwann kam sie nicht mehr. In ihrer Mittagspause schaute Zeis bei ihr vorbei, erinnerte sie diskret an den Ring. "Ach, stimmt, vergessen", sagte diese und tauchte dann doch nicht auf. Nach mehreren Erinnerungsbesuchen musste Zeis den Ring zur Versteigerung geben.

Schnelles Geld und ein guter Rat

Eine andere Kundin hatte binnen kurzer Zeit ihren Mann, ihren Sohn und ihre Tochter verloren, zwei Unfälle und ein Selbstmord. Was blieb, das war ein Berg Schulden. Sie belieh den Schmuck der drei. Nichts wollte sie weggeben, alles Erinnerungsstücke. Die Gebühren schnellten in die Höhe. Zeis machte sich Sorgen. Zu ihrer Kundin sagte sie: "Mensch, die Zinsen, das ist doch Wahnsinn." Die beiden setzten sich zusammen und überlegten. Ein paar Erinnerungsstücke behielt die Witwe. Der Rest wurde versteigert. Der Erlös, der das Pfand übersteigt, geht an den Besitzer, nicht an das Leihhaus. Das verdient also nichts an einer Versteigerung. Aber Manuela Zeis hatte ein ruhigeres Gewissen.

Sie hat die massive Goldkette ihrer nervösen Kundin geschätzt. Die Frau ist inzwischen aufgetaut. Sie steht aufrecht da, nicht mehr geduckt. "1280 Euro kann ich Ihnen für die Kette anbieten", sagt Zeis. Die Frau verzieht keine Miene, vielleicht hätte sie sich mehr erhofft. Trotzdem entscheidet sie sich, das Geld zu nehmen. Sie unterschreibt den Pfandschein, Zeis blättert den Stapel Geldscheine auf den Tisch. Am Ende sagt sie: "Sehen Sie, das war doch gar nicht so schlimm bei uns."

© SZ vom 31.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Schuldneratlas
:Wie die Deutschen in die Überschuldung rutschen

Knapp sieben Millionen Menschen werden ihre Kredite nicht mehr abstottern können. Arbeitslosigkeit ist immer seltener der Auslöser.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: