Die Coburger Linguistin Katja Kessel hat eine Dissertation über die "Kunst des Smalltalks" geschrieben. Sie hat dafür 23 deutsche und amerikanische Ratgeber untersucht, darunter auch historische. Ein Gespräch über Rituale, Floskeln und soziales Lausen.
SZ: Frau Kessel, warum quasseln wir eigentlich so einen Unsinn im Aufzug?
Katja Kessel: Aufzug ist einfach eine spezielle Situation. Schon der körperliche Abstand passt da oft nicht. Man ist in diese Enge gezwungen und empfindet einen Druck, die Stille irgendwie füllen zu müssen. Aufzugfahrer sehen sich plötzlich in der Pflicht, ein soziales Miteinander herzustellen. Das ist unangenehm.
Gibt es soziale Regeln, wer anfangen muss mit dem Geschwätz?
Nein. Schon allein deshalb, weil es Unterschiede gibt: Es gibt Menschen, die halten die Stille aus. Andere wiederum überhaupt nicht. Die fangen dann meist den Smalltalk an, weil sie das Gefühl haben: Das ist aber gerade ziemlich beklemmend hier.
Also schnell losquatschen.
Wissen Sie, der Smalltalk ist ein nicht-hierarchisches Gespräch. Das heißt: Jeder darf anfangen damit. Wobei es schwierig wird in Situationen, in denen es einen Vorgesetzten und Mitarbeiter gibt. Da muss man mit Menschenkenntnis ausloten, ob es akzeptabel ist, wenn man jetzt einfach so das Gespräch mit dem Chef beginnt.
Ah. Theoretisch also keine Hierarchie, praktisch aber besser doch nicht den Chefredakteur von der Seite anreden.
Genau so. Im Aufzug gilt zunächst mal das sogenannte Harmonieprinzip.
Das Harmonieprinzip?
Ja, man muss erst versuchen, die Situation vorsichtig zu überschauen. Wenn möglich schon irgendwas Interessantes sagen. Es darf nur nicht gleich belastend sein.
Das Unangenehme ist aber doch: Wenn da halbwegs intelligente Leute zusammenstehen, durchschaut ja jeder die Not.
Klar. Und deshalb ist diese Form des Gesprächs so ritualisiert und jeder weiß es. Jeder weiß: Aha, hier wird also zum Beispiel was Nettes gesagt, auch wenn es vielleicht gar nicht so gemeint ist. Gehört eben dazu. Geht da gar nicht um den Austausch von Inhalt, sondern nur darum: So, hab' dich registriert und bin dir nicht grimmig gesonnen. Das funktioniert über Floskeln.
Floskelhaftigkeit ist einer der schlimmsten intellektuellen Vorwürfe, die man jemandem machen kann.
Schon. Aber in der Not greift man dann eben doch zur Schablone, mit der man sich entlasten kann. Bevor man über den Gedanken "Oh Gott, was sag' ich jetzt nur?" verzweifelt. Wichtig ist nicht, was gesagt wird. Wichtig ist, dass was gesagt wird. Das nennt man phatische Kommunikation.
Phatisch.
Inhaltsleer gewissermaßen. Kennt der Mensch nach dem Ehestreit. Es herrscht Schweigen. Und dann muss man irgendwas sagen, ziemlich egal was. Einfach zurückkommen in die Kommunikation.
Aufzug ist wie Ehestreit?
Sozusagen. Es geht auch morgens unter Nachbarn nicht darum festzustellen, ob "alles in Ordnung" ist. Es geht darum, die Situation gemeinsam zu überstehen.
Haben Sie eigentlich auch einen Aufzug in der Coburger Hochschule?
Schon, aber es sind hier nur 5000 Studenten, in meinem Gebäude gibt es nur drei Stockwerke. Dieses spezielle Aufzug-Problem gibt es eher in höheren Gebäuden.
Ist Smalltalk schlimmer oder einfacher für Sie geworden, seit Sie Ihre Doktorarbeit geschrieben haben?
Zum Glück hat mich das nicht völlig blockiert. Ich steh nicht andauernd unter dem Zwang: Oh Gott, jetzt muss das gut werden! Das Grübeln setzt eher danach ein: Warum hat das jetzt nicht funktioniert?
Sie hören sich also nicht andauernd beim eigenen Smalltalk zu?
Hm, doch ja, das kann mitunter schon mal vorkommen seither.
Wie grausam. Gibt's eigentlich auch unter Tieren Smalltalk?
Hunde, die sich beschnuppern, kann man auf jeden Fall so deuten. Entweder wir verstehen uns jetzt und spielen - oder es gibt Rambazamba. Und das Lausen beim Affen sowieso: Smalltalk wird in der Fachliteratur oft als soziales Lausen bezeichnet.
Was geht als Thema nicht?
Religion, Politik, Geld. Das hat viel zu viel Konfliktpotenzial. Dummerweise kann aber jedes Thema ein Tabuthema sein, ohne dass man das wissen kann.
Geht Smalltalk über Smalltalk?
Paraverbale Kommunikation? Unbedingt! Vor allem auf einer Party, wenn überall Grüppchen zusammenstehen und man keinen kennt. Und nur einer alleine rumsteht, den man zwar auch nicht kennt. Der aber eben auch alleine rumsteht: "Schon unangenehm, wenn man keinen kennt, oder? In solchen Situationen weiß ich immer nicht, was ich reden soll." Das ist als Beginn eines Gesprächs schon mal nicht schlecht.
Was ist schlimmer: Der Smalltalk-Schwätzer oder der Schweiger?
Kommt auf die Situation an. Wenn ich beim Arbeitsessen sitze und das Gegenüber wehrt alles ab - grausam. Ausufernde Referate über Krankheiten und anderes sind aber auch nicht erquicklicher.