Behörden und Justizvollzugsbeamte merken oft nicht, welche Geschäfte die Russenmafia im Knast macht. Oder sie wollen es nicht merken.
(Foto: dpa)Die Jungfrau Maria sieht dilettantisch aus. Eine Strichzeichnung, eine Skizze bestenfalls. Die Linien der Heiligen mit dem Jesuskind sind schlecht geführt, die Farbe unterschiedlich ausgebleicht. Alexej Petrow ist trotzdem stolz auf sein erstes Knast-Tattoo. "Das bedeutet, dass ich zwar erst im Jugendknast bin, aber mich nach oben arbeiten werde", sagt er und zieht sein T-Shirt wieder über den Bauch.
Jedes Gefängnis-Tattoo hat eine Bedeutung. Es ist eine Art Vertrag zwischen dem Einzelnen und der Knastgemeinschaft. Alexej Petrow hielt sein Versprechen: Er arbeitete sich nach oben, bis er die rechte Hand des Mannes war, den sie im Gefängnis nur "den Boss" nannten. Petrow organisierte für die Russenmafia in einem bayerischen Gefängnis die Drogenlieferungen. Vor einigen Monaten brach er alle Versprechen. Er stieg aus. Seine Geschichte gibt einen äußerst seltenen Einblick in die Welt hinter Gefängnismauern, in einen rechtsfreien Raum im Herzen unseres Rechtsstaates.
Petrow sitzt in einem Straßencafé im Ausland. Er sagt "Wir", wenn er von der Russenmafia, den Kameraden im Gefängnis oder den Wegen der Drogenschmuggler spricht. Aber ein "Wir" gibt es nicht mehr. Petrow, der wie alle Personen in dieser Geschichte eigentlich anders heißt, hat gegen seine Kameraden ausgesagt, einige wurden zu Haftstrafen von mehr als zehn Jahren verurteilt. "Ich habe gegen die erste, die wichtigste Regel verstoßen", sagt er. Das Zeugenschutzprogramm, das reiche nicht, deswegen sei er im Ausland. Von einem Moment auf den anderen werden seine freundlichen blauen Augen eiskalt, die Pupillen verengen sich. "Bei uns steigt niemand aus."
Die Russenmafia kontrolliert den Drogenhandel in den 42 bayerischen Gefängnissen. Das erzählen ehemalige Insassen, das wissen aber auch die Experten der Behörden. In die Öffentlichkeit drängt die Situation in den Gefängnissen trotzdem nur, wenn es wieder einmal einen Suizid, eine Massenschlägerei oder einen Hungerstreik gibt. Das ist selten. Gewalt aber scheint im Knast Alltag zu sein. In einer Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer gab jeder vierte befragte Gefangene in vier norddeutschen Bundesländern an, regelmäßig Opfer von psychischer oder körperlicher Gewalt zu werden.
Für Bayern gibt es keine Zahlen. Aber zwei Fakten: In keinem Bundesland sitzen im Verhältnis zur Bevölkerung so viele Menschen in Gefängnissen. Und in keinem Bundesland muss ein Justizvollzugsbeamten so viele Insassen beaufsichtigen. 5260 Beamte passen auf knapp 9500 Gefangene auf. Nach Veröffentlichung der Studie ließ Justizministerin Beate Merk klarstellen: "Unsere Beamten sind geschult, hinzuschauen und konsequent zu reagieren."
Alexej Petrow lacht auf, als er das Zitat der Ministerin hört. "Die Beamten sehen nichts. Und sie wollen auch nichts sehen." Knapp zwölf Jahre hat Petrow in verschiedenen bayerischen Gefängnissen verbracht. Nach dem Tod des Vaters kam er mit der Mutter aus Russland nach Deutschland. Das war 1996. Zwei Jahre später, mit 19, landet er zum ersten Mal im Jugendarrest. Er hatte mit Drogen gedealt. Petrow sprach kaum Deutsch. Draußen fand er keine Freunde, doch im Gefängnis gehörte er schnell dazu. Er war clever, konnte reden und Dinge organisieren. So machte er Karriere. "Es ist im Prinzip wie eine Ausbildung im normalen Leben", sagt er heute. "Man kommt als Lehrling. Und wenn du bei uns warst, gehst du als Meister."