Integrationsgesetz:Debattieren bis zum Umfallen

Lesezeit: 3 min

Bayerns ehemaliger Finanzminister Kurt Faltlhauser hatte im Landtag auch schon gegen die Müdigkeit zu kämpfen. (Foto: dpa/dpaweb)
  • Am Donnerstag wird das umstrittene Integrationsgesetz Thema im Landtag sein.
  • Die Opposition wird dessen Verabschiedung nicht verhindert können - doch sie hat ein Mittel, um die Abstimmung zu verzögern.
  • Die Ermüdungsrede ist ein beliebtes Stilmittel in den Parlamenten der Welt - auch die alten Römer kannten es schon.

Von Wolfgang Wittl, München

Für die CSU hätte es ein langer, gemütlicher Abend werden sollen an diesem Donnerstag, doch jetzt kommt alles ganz anders: Eigentlich wollte die Fraktionsspitze im Anschluss an die Landtagssitzung ihr "vorweihnachtliches Abendessen" abhalten. Doch weil aus der Sitzung nun "ein Open-End-Plenum" werde, wie Fraktionschef Thomas Kreuzer in seiner Einladung schreibt, musste die Weihnachtsfeier verlegt werden. Lange dürfte der Abend trotzdem werden, aber vermutlich nicht so gemütlich, wie man es sich bei der CSU vorgestellt hat.

Der Donnerstag wird ganz im Zeichen des umstrittenen Integrationsgesetzes stehen: Die CSU will es durchsetzen, SPD und Grüne würden es gerne verhindern. Weil sie dazu mangels Mehrheit nicht in der Lage sind, wollen sie es zumindest verzögern - und sei es nur um einige Stunden. Aber was heißt da nur einige Stunden?

Landtag
:SPD wirft CSU Manipulation beim Integrationsgesetz vor

Ein Aspekt des umstrittenen Gesetzes sei im Nachhinein "still und heimlich" verändert worden, so der Verdacht der Sozialdemokraten. Im Landtagsausschuss kommt es deswegen zum Eklat.

Es ist mit einer Sitzung zu rechnen, wie sie alle paar Jahre einmal vorkommt. Um 13 Uhr soll es mit dem Integrationsgesetz losgehen, und wenn die Abgeordneten ihre Redezeiten voll ausschöpfen, werden sie womöglich am nächsten Tag um sieben Uhr morgens zur Abstimmung schreiten. Geschlagene 18 Stunden würde die Sitzung dann dauern, 32 Einzelanträge stehen nach der zweistündigen Generaldebatte auf der Tagesordnung.

Selbst wenn die CSU-Fraktion auf ihre Redezeit komplett verzichtete, dürfte das Schauspiel bis zwei Uhr morgens dauern. Noch nicht berücksichtigt sind dabei Wortmeldungen von Mitgliedern der Staatsregierung oder persönliche Erklärungen. Sie würden die Debatte wieder erheblich verlängern.

Filibustern lautet der Fachbegriff für das, was am Donnerstag zu erwarten ist. Das Wort stammt aus der Piratensprache und bedeutet "Freibeuterei". Im Duden wird filibustern mit der Bedeutung "Zeit schinden" und "hinauszögern" angegeben. In der Politik ist es eine Mischung aus beidem: Die Opposition kapert die Tagesordnung und zieht die Verabschiedung eines Gesetzes in die Länge. Es ist die parlamentarische Form des Protestes von Minderheiten, das Stilmittel der Ermüdungsrede gab es sogar im alten Rom.

Diskutiert wird nicht nur im Plenarsaal

Doch Bayern wäre nicht Bayern, wenn es nicht eine eigene Tradition für legendär lange Landtagsdebatten begründet hätte. Beispiele? Zweifellos gehört dazu der Streit um den Stoiberschen Sparhaushalt im März 2004. Um 15.07 Uhr eröffnete Landtagspräsident Alois Glück die Sitzung mit den Worten: Es sei "zweckmäßig", damit zu rechnen, dass die Abstimmungen bis Mitternacht dauern könnten. "Es sollte sich aber niemand darauf einstellen, dass es nicht früher sein kann, und die Zwischenzeit woanders nutzen." Glücks Appell an die Disziplin der Abgeordneten war, wie sich im Lauf der Nacht herausstellen sollte, so richtig wie vergeblich.

48 Redner und mehr als 30 Abstimmungen weist das Sitzungsprotokoll von damals aus. Was abseits des Plenarsaals geschah, ist Zeitungsberichten zu entnehmen. Wie sich etwa eine große Koalition von Fußballfans vor dem Plenarsaal um den Fernseher drängelte, um die Verlängerung des Pokalspiels VfB Lübeck gegen Werder Bremen anzuschauen.

Oder wie es im Erdgeschoss des Maximilianeums deutlich lustiger zuging als zwei Stockwerke weiter oben im Plenum. Immer mehr Abgeordnete flüchteten zum Bier. Jeder Neuankömmling, der die Landtagsgaststätte betrat, musste berichten, wie weit die Debatte fortgeschritten war. Die Küche hatte sich derweil mit einer "Mitternachtskarte" gewappnet: Kohlsuppe, Leberkäs, Salat.

"Ist das jetzt eine Sternstunde des Parlaments? Oder leiden die bayerischen Volksvertreter unter einer Logorrhö-Attacke" - einer krankhaften Form der Geschwätzigkeit, fragte die SZ. Und weiter: "Das ist keine Redeschlacht, sondern ein Stellungskrieg." Nur stehe im Gegensatz zum Pokalspiel im Fernsehen der Sieger schon vor Beginn der Partie fest.

Landtag
:Wie Experten das "Integrationsgesetz" der CSU zerpflücken

Unsinnig, unverständlich, verfassungswidrig: Die Sachverständigen üben bei der Anhörung im Landtag scharfe Kritik. Dann ziehen sie einen interessanten Vergleich.

Von Lisa Schnell

Auch wenn es vielen CSU-Leuten nicht gefällt, winken sie den Kahlschlag-Haushalt von Edmund Stoiber durch. Der Ministerpräsident kommt übrigens erst um 1.03 Uhr in die Sitzung. Verpasst hat er nichts: Die Argumente sind seit Monaten bekannt, die Debatte läuft immer noch. Die SPD freut sich, dass sie nun schriftlich hat, welcher CSU-Abgeordnete wo genau für Einsparungen gestimmt hat. Um 2.44 Uhr schließt Glück die Sitzung.

Rekord ist das nicht: Der stammt vom 20. Januar 1950, als der Landtag leidenschaftlich über die Gründung einer vierten Universität im Freistaat diskutiert. Bamberg und/oder Regensburg, evangelisch oder katholisch, so lauten die zentralen Fragen, bis Vizepräsident Georg Hagen die Sitzung um 3.14 Uhr beendet. Hitzig geht es auch am 29. Februar 1972 zu, die Abgeordneten streiten über das Bayerische Rundfunkgesetz. Die CSU, allen voran ihr damals noch in Bonn sitzender Chef Franz Josef Strauß, will den Bayerischen Rundfunk stärker unter ihre Kontrolle bringen - so sieht es zumindest die Opposition. Die Debatte endet am 1. März um 1.20 Uhr.

Gleich mehrere Tage sind im Sommer 1996 für die Auseinandersetzung zum Paragrafen 218 vorgesehen. Schwangeren soll nach dem Willen der Staatsregierung der Beratungsschein verwehrt werden, wenn sie sich weigern, Gründe für ihre Abtreibung zu nennen. Eine der Wortführerinnen ist Sozialministerin Barbara Stamm. Die Woche des Streits endet, anders als befürchtet, aber bereits nach zwei Tagen.

Stamm ist heute Landtagspräsidentin, sie dürfte sich am Donnerstag an manchen Disput von früher erinnert fühlen. In den Fraktionen laufen schon die Vorbereitungen: SPD und Grüne wollen einen Aufenthaltsraum für die Gegner des Integrationsgesetzes einrichten. Von den Freien Wählern ist zu hören, dass sie das Plenum wohl vorzeitig verlassen. Die gute Nachricht für alle, die ausharren: Auf die Aktuelle Stunde und Dringlichkeitsanträge wird verzichtet. Man will sich schließlich sputen.

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: