Hochzeitsbräuche:Raue Sitten

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Die Braut wird freigekauft

Von Hans Kratzer, München

Es ist der glücklichste Tag des Lebens und nicht selten auch der anstrengendste. Die Hochzeit gehört auf jeden Fall zu den ganz großen Ritualen, auch deshalb gibt es in Bayern zahllose regionale Bräuche. Einige davon hat die SZ neulich auf einer Themenseite vorgestellt. In diesem Zusammenhang wurden die Leser gebeten, über ihre eigenen Hochzeitserfahrungen und damit verbundene Bräuche zu berichten. Renate Seitz aus München schrieb dazu, wie sie einst als junge Braut einen rustikalen Brauch kennenlernte, der ihre Hochzeit fast zum Scheitern gebracht hätte. Hier ihre fast beklemmenden Erinnerungen:

"Ich möchte vorausschicken, dass es sich um einen fränkischen Brauch handelt, genauer um einen hohenlohischen, denn da komme ich her und dort habe ich auch geheiratet. Also, wenn im Hohenlohischen einer von auswärts ein Mädchen freite - wobei 'von auswärts' schon eine Distanz von knapp 20 Kilometern bedeutete -, dann musste der Bräutigam die Braut freikaufen. Will heißen: Er musste die gesamten ledigen Kerle zwischen 18 und Vollvergreisung in einem Wirtshaus freihalten, meist einen Tag vor dem Polterabend. Da ich die Ergebnisse dieser Feier so manches Mal - bleich und sehr mitgenommen - vor dem Traualtar stehen sah (es musste ja auch noch der Polterabend überstanden

werden), habe ich meinem bairischen Zukünftigen davon kein Wort verraten. Da er zu dieser Zeit bei den Heeresfliegern und deshalb erst einen Tag vor der Heirat vor Ort war, konnte es ihm auch keiner stecken. Das Ergebnis des unerhörten Sittenbruchs war, dass mir die Burschen am Hochzeitsmorgen die Haustür mit granitenen Randsteinen anderthalb Meter hoch zugemauert hatten. Hätte ich nicht vor lauter Aufregung schlecht geschlafen und in aller Früh aufs Klo gemusst, dann wären wir garantiert nicht pünktlich in der Kirche gewesen. Den Einfallsreichtum der Herren musste man allerdings bewundern.

Einer anderen Braut, die einen Berliner freite und ihm diese (Un)sitte ebenfalls verschwieg, entfernten die Burschen in der Hochzeitsnacht das Bettzeug samt Matratzen. Das frischgebackene Ehepaar, Eltern, Schwiegereltern und Geschwister der Braut fanden nur noch eine leere Bettstatt vor. Wo sie die Nacht verbracht haben, kann ich nicht sagen -

damals war ich erst acht Jahre alt! Ich jedenfalls habe es so eingerichtet, dass wir am Hochzeitsabend noch in die Flitterwochen abgereist sind und ich alle Welt dies vorher wissen ließ. Das Kraut vollends ausgeschüttet hatten mir die Kerle nämlich am Polterabend. Ganze Kloschüsseln, Fensterglas und Wasweißichnichtnochalles haben sie auf unserer Eingangstreppe (unser Haus liegt am Hang) zerschmettert. Mein Vater fand noch wochenlang Glas- und andere Scherben in seinen vor der Treppe befindlichen Gemüsebeeten.

Ich weiß nicht, ob diese rauen Sitten auch heute - nach mehr als 50 Jahren - noch gelten. Ich glaube es fast nicht, denn auch in diesem stillen Lande haben sich die Zeiten zum Glück geändert."

Wer hat selber, bei der Verwandtschaft oder bei Freunden ungewöhnliche und kuriose Hochzeitsbräuche erlebt? Schreiben Sie uns, wie Sie oder ihre Freunde die Hochzeit und das ganze Drumherum gefeiert haben - gerne auch mit Fotos an bayernredaktion@sueddeutsche.de.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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