Historische Zahlenwelt:Bezirksamtsassessor Emil Schlick quält sich

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Bayerns Betriebe exportierten schon immer fleißig in alle Welt. Doch die Buchführung ließ vor hundert Jahren zu wünschen übrig, zum Leidwesen der Statistiker

Von Maximilian Gerl, Fürth

Schwer, langweilig, zahlenlastig: Wer glaubt, Statistik sei eine für alle Beteiligten qualvolle Angelegenheit, der sollte den Bericht von Bezirksamtsassessor Emil Schlick lesen. Er und seine Kollegen haben eine wenig beneidenswerte Aufgabe. Erst schicken sie einen Fragebogen an Bayerns größte Firmen, den kaum eine beantwortet. Ein paar Jahre später versuchen sie es erneut, diesmal antworten ein paar Firmen mehr, nur nicht wie erwünscht. Die einen schreiben den Wert der Waren, die sie exportieren, die anderen deren Menge. Dritte haben keine Ahnung, wovon sie wie viel wohin exportieren, weil sie nicht Buch darüber führen. Wer Buch führt, exportiert dafür manchmal in Länder, die es laut Länderverzeichnis gar nicht geben dürfte. Letztlich, so vermerkt Schlick, sei die Beantwortung der Fragebögen verhältnismäßig dürftig ausgefallen. "Hieraus erhellt sich, dass durch die Erhebung ein erschöpfendes Bild über Bayerns Anteil am Außenhandel nicht gewonnen werden kann."

Knapp hundert Jahre ist es her, dass Schlick diese Zeilen schrieb. Im Jahr 1919, einer Zeit, in der Statistik noch mehr Qual war als heute, es weder Computer gab noch Datenbanken. Das weiß man heute deshalb so genau, weil das Statistische Landesamt in Fürth es selbst zugibt: Indem es regelmäßig statistische Relikte aus seinen Archiven hervorkramt und als historische Schmankerl in seine Monatsberichte druckt. In der aktuellen Ausgabe steht Schlicks Auswertung einer Umfrage, Titel: "Bayerns Außenhandel im Jahr 1913". Was schon damals dröge klang, heute aber - wenn nicht erschöpfend - wenigstens sehr erhellend ist. Zeigen die alten Zahlen doch, wofür Bayerns Wirtschaft steht. Und wofür nicht mehr.

Dem Bericht lässt sich zum Beispiel entnehmen, dass bayerische Maschinen im Ausland seit jeher gefragt sind. 1913 wurden "Dampf-, Verbrennungs-, Explosions- und andere Antriebsmaschinen ohne Elektromotoren" im Wert von mindestens 13 186 000 Mark in alle Welt verkauft. Allerdings hießen die wichtigsten Handelspartner damals nicht USA, China und Großbritannien, sondern "Rußland mit Finnland", Österreich-Ungarn und Luxemburg. Nach China gingen Antriebsmaschinen im Wert von gerade mal 2000 Mark. Wie viele in die USA verkauft wurden, konnten Schlick und Kollegen nicht herausfinden: Viele Firmen gaben im Fragebogen als Lieferadresse einfach "Amerika" an. Was, wie Schlick richtig anmerkt, nicht gerade eindeutig ist, ergo statistisch wenig hilfreich.

Auch Bayerns Brauereien kommen in der Statistik erwartungsgemäß an prominenter Stelle vor. Ob ihre Biere schon damals im Ausland gefragt waren, lässt sich aus den vorliegenden Zahlen nicht herauslesen. Definitiv gefragt waren sie dafür bei den Vertretern der bayerischen Handwerkskammern, die allein 143 Brauereien und Hopfenhändler als Teilnehmer an der Studie vorschlugen. Fast so viele wie im umsatzstarken, aber nicht ganz so schmackhaften Bereich Maschinenbau mit 155 Betrieben.

Wer durch den nur wenige Seiten umfassenden Bericht blättert, stößt außerdem auf Branchen, die es in Bayern kaum noch gibt. Wirtschaftszweige, die in den letzten Jahrzehnten durch den Strukturwandel verschwunden sind oder zumindest marginalisiert wurden, zum Beispiel die Porzellanindustrie. Die Glasindustrie. Die Papierindustrie. Die Textilindustrie. Oder die Pinsel- und Bürstenindustrie. Die verkaufte immerhin "Besen, Bürsten, Pinsel und Siebwaren" im Wert von 200 000 Mark nach Skandinavien - damals eine ordentliche Summe.

Zum Glück zeigt sich Emil Schlick im Laufe des Berichts wieder mit den Qualen der Statistik versöhnt. Trotz aller Unvollständigkeiten seien wertvolle Hinweise "auf die Richtung des bayerischen Außenhandels" nebst "interessanten Einzelheiten aus diesem Gebiete durch die Erhebung zu Tage gefördert" worden, weshalb eine "Veröffentlichung des Gewonnen angezeigt" erscheine. Was hiermit geschehen sei.

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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