Zum Tod von Guido Zingerl:Abschied vom letzten großen Sozialkritiker in der Kunst

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Guido Zingerl stirbt mit 90 Jahren (Foto: Johannes Simon)

Kurz nach seinem 90. Geburtstag ist der Fürstenfeldbrucker Maler Guido Zingerl gestorben. Sein Leben lang hat er gegen Ungerechtigkeit und Faschismus gekämpft.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Bis zuletzt gab es kaum eine Ausstellungseröffnung in Fürstenfeldbruck, bei der Guido Zingerl nicht zumindest kurz vorbei geschaut hat. Gestützt auf seinen Stock betrachtete er mit interessiertem Blick die Arbeiten, bevor er sich dann meist in einer ruhigen Ecke auf einen Stuhl setzte, um noch einen Moment das Geschehen zu beobachten - und mit den Menschen zu reden, die sich mit ihm unterhalten wollten. Und davon gab es immer einige. Egal, ob für einen kurzen Ratsch oder ein Gespräch über Malerei und die Gesellschaft, der Grandseigneur der Brucker Kunst hat sich für alle Zeit genommen. So auch bei seiner letzten eigenen Ausstellung im vergangenen Oktober in der Galerie Frey in Fürstenfeldbruck und bei der Jubiläumsausstellung der Kunstpreisträger des Landkreises im November, bei der Zingerl als zweifacher Preisträger vertreten war. Am Donnerstag ist Heinrich Scholz, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, gestorben, wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag.

Der am 19. Januar 1933 in Regensburg geborene Zingerl war in seiner Wahlheimat Fürstenfeldbruck mit seiner provokanten Art sicher nie der beliebteste Künstler, wohl aber der gesellschaftlich wichtigste. Unablässig hat er den Pinsel in offene Wunden gedrückt und ist damit immer wieder angeeckt. Mit seinen Arbeiten hat er nicht nur die aktuelle Stadtpolitik kritisiert, vor allem war es sein großes Lebenswerk, die Verbrechen und die Geschichte des Nationalsozialismus auch in Fürstenfeldbruck aufzuarbeiten. Und doch war er dabei nie in der Vergangenheit verhaftet, sondern hat sich stets auch zu aktuellen Themen und Entwicklungen geäußert, zuletzt zum Krieg in der Ukraine. Nicht nur in seinen Gemälden, sondern unter anderem auch als Karikaturist, vor einigen Jahren auch für die Süddeutsche Zeitung.

Sein Antifaschismus beruhte auf zwei Erlebnissen in seiner Jugend

Guido Zingerls tiefer und kämpferischer Antifaschismus beruhte auf zwei Erlebnissen in seiner Jugend. Als Siebenjähriger wurde er 1938 von seinem Vater geweckt, weil dieser sich mit ihm die brennende Synagoge in Regensburg anschauen sollte. Er habe damals nicht richtig verstanden, was passierte, aber das Bild des brennenden Hauses habe sich tief in seinem Kopf verankert. Und kurz vor Ende des Krieges wurde er mit seiner Schulklasse zur Hinrichtung des Dompredigers und zwei von dessen Freunden geschleppt. Der Priester hatte für eine schnelle Übergabe der Stadt gebetet. "Die Menschen da hängen zu sehen, war einfach schrecklich", hat Zingerl in einem Gespräch einmal gesagt.

Zu diesem in der Kindheit geprägten Antifaschismus kam nach dem Krieg schnell Zingerls zweite Überzeugung: eine fundamentale Kapitalismuskritik. 1968 gehörte er zu den Gründern der DKP, war Teil des Parteivorstandes. Dafür wurden er und seine Frau Ingrid vom Verfassungsschutz beobachtet. Nach einigen Jahren allerdings traten sie aus der Partei aus, weil sie deren Entwicklung nicht mehr mittragen konnten. Dafür engagierte sich Zingerl weiter in der Gewerkschaft. Seiner Mitarbeit sind zwei wichtige Einrichtungen zu verdanken: die VG Bild-Kunst und die Künstlersozialversicherung. Sein drittes großes Ziel, ein Ausstellungshonorar für bildende Künstler, konnte er nicht mehr verwirklichen.

In seiner Jugend allerdings sah es gar nicht danach aus, dass Zingerl einmal Künstler werden würde. Er war ein guter Schüler, die Lehrer wollten, dass auch er Lehrer wird. Er allerdings glaubte, dass er sich für Naturwissenschaften interessiere und begann ein Maschinenbau-Studium. Obwohl er sich dort von Anfang an nicht richtig wohl fühlte, kämpfte er sich bis zum Diplom durch. Nur die Promotion brachte er nicht zu Ende. 1960 entschied er, einen neuen Weg einzuschlagen und Maler zu werden. Der Vater unterstützte ihn mit 300 Mark im Monat, den Rest verdiente sich der junge Mann als Hilfsarbeiter auf dem Bau und als Lastwagenfahrer.

Zingerl ging es nicht um äußerliche Realität, sondern um innere Wahrheiten

Ganz ohne Ausbildung etablierte er sich Schritt für Schritt in seinem neuen Beruf. Das Nichtakademische wurde dabei zu seinem Markenzeichen. Seine Arbeiten waren nicht die technisch saubersten, Schönheit und genaue Strichführung nicht sein Anspruch. Nein, Zingerls Stil war stets so grob und brutal, so unmittelbar und gerade heraus, wie es seine Motive erforderten. Ihm ging es bei der Darstellung nicht darum, die äußere Realität in einer Momentaufnahme auf die Leinwand zu bannen, sondern inhaltliche Wahrheiten aus ihrer Zeitlichkeit zu lösen und ewig gültig zu machen. Das hat er bis zur Vollkommenheit gemeistert.

Seine Arbeiten fanden von Anfang an große nationale und internationale Beachtung. Seit 1963 nahm er regelmäßig an den Jahresausstellungen des Herbstsalons im Münchner Haus der Kunst teil, seine Arbeiten waren in der Neuen Münchner Galerie ebenso zu sehen wie in Edinburgh und Prag. 1975 in Westberlin, 1978 auf der Karikaturen-Biennale, 1993 im Max-Planck-Institut. Und freilich waren seine Arbeiten regelmäßig auch in Fürstenfeldbruck zu sehen, es verging kaum ein Jahr ohne größere Ausstellung mit Zingerl-Beteiligung. Die Stadt kaufte auch einige seiner Arbeiten an. Doch obwohl er zu den wenigen Berufskünstlern im Landkreis zählte, konnte er sich nicht auf den Verkauf seiner Arbeiten verlassen. Seine Frau sei es gewesen, die ihn "durchgebracht" habe, sagte er dazu einmal.

Die Leerstelle, die mit Guido Zingerls Tod nun in die Kunstlandschaft der Stadt und des Landkreises gerissen wird, ist riesig. Er war der letzte große sozialkritische Künstler, dessen Stimme auch außerhalb der Kunstwelt wahrgenommen wurde. Eine Stimme, die gerade in dieser Zeit des brutalen Kriegs in der Ukraine und der wachsenden sozialen Spannungen schmerzlich fehlen wird.

In seiner Arbeit "Das Narrenschiff" versammelt Zingerl all die Figuren, die er über die Jahrzehnte kritisiert hat. (Foto: Carmen Voxbrunner)
Der Zyklus "Das Geheimnis der griechischen Eule" verbindet die antike Mythologie mit der Geschichte der Stadt Fürstenfeldbruck. (Foto: Johannes Simon)
Das Gemälde "Frieden kommt nicht von alleine" entstand 1982, in der Zeit des ersten Golfkriegs. (Foto: Carmen Voxbrunner)
In dieser Karikatur nimmt sich Guido Zingerl den Gräueltaten der Fürstenfeldbrucker Polizeischule während des Nationalsozialismus an. (Foto: Voxbrunner Carmen)
An die aktuelle Debatte um die künstlich angelegten Skipisten erinnert dieses Gemälde. (Foto: Carmen Voxbrunner)
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