Genossenschaftskino in Würzburg:Eine Filmliebe

Lesezeit: 3 min

In Würzburg betreiben 250 Bürger das erste Genossenschaftskino Bayerns. Doch das Gemeinschaftsprojekt könnte bald ein Ende haben: wenn sich ein Investor für ein Einkaufszentrum findet.

Olaf Przybilla

Peter Göbel war gerade zurück in Würzburg, seine Pension genießen, als dort überaus Merkwürdiges geschah. Göbel hätte sich ja manches vorstellen können, eine große Universitätsstadt aber mit mehr als 25.000 Studenten ohne ein einziges Programmkino, das überstieg seine Vorstellungskraft.

Ein paar engagierte Bürger haben die Aula des ehemaligen Mozart-Gymnasiums umfunktioniert und sich ihr eigenes Kino gebaut - weil es in Würzburg sonst recht mau aussieht in Sachen Programmkino. (Foto: ddp)

Göbel erinnert sich noch, wie er wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Unterfranken die örtliche Zeitung aufschlug und dort mitgeteilt wurde, dass im "Corso" - im tatsächlich letzten Kino Würzburgs mit einem anspruchsvollen Programm - auch noch die Leinwand abgebaut werden sollte. Wäre die Sache nicht so traurig gewesen, erzählt Göbel, "dann hätte ich gedacht, ich bin im falschen Film".

Würzburg, einen Steinwurf entfernt von der Residenz Balthasar Neumanns. Es ist ein fulminant schöner Ort, aber ein bisschen traurig ist er auch, seit das Gebäude am Weltkulturerbe leer steht. Vor einigen Jahren sind hier die letzten Schüler des Mozart-Gymnasiums ausgezogen, in ein anderes Schulhaus, seither dämmert das Areal einer neuen Bestimmung entgegen. Der Streit ums neue Leben an der Residenz hat schon Würzburger Wahlkämpfe mitentschieden. Dass dort ein Einkaufszentrum entstehen soll, ist grundsätzlich beschlossene Sache - mit welchem Investor aber, steht dahin. Seit zwei Wochen ist der Leidensdruck gelindert, denn seit zwei Wochen gehen die Würzburger dort in ihr neues Kino.

Ihr Kino, das ist in dem Fall wörtlich zu verstehen, wörtlicher als in irgendeiner anderen Stadt Bayerns. Denn in ihrer Not haben sich in Würzburg 250 Bürger zusammengetan, die sich nun untereinander mit "Genosse" ansprechen dürfen. Göbel ist einer davon, auch er hat einen Schein gezeichnet, der ihn zum Teilhaber des ersten Genossenschaftskinos in Bayern macht.

Ein gutes Gefühl, sagt Göbel. Jeder dieser Teilhaber hat 100 Euro eingebracht, 400 Scheine wurden ausgegeben, es gibt auch Cineasten, die sich mehr als einen Schein besorgt haben. "Sie werden sich das kaum vorstellen können", sagt Filmvorführer Göbel, den Vorführraum betretend, "aber für mich ist das so, als ob hier die Sonne aufgeht."

Keine Chance gegen ein Einkaufszentrum

Göbel war dabei, als sie im neuen Vorführraum - der alten Aula - mit 15 Genossen und Genossinnen die Vorhänge genäht haben. Er war dabei, als sie nach einem ausrangierten Projektor fahndeten und in einem Kino in Baden schließlich fündig wurden. Und der Pensionist erlebt jetzt, wie er zum Leiter eines Chores von 30 Kinovorführer-Auszubildenden aufgestiegen ist.

Göbel war Angestellter bei der Telekom, nebenher hat er immer Filme vorgeführt, und wenn die Kinos dichtmachten und es nicht mehr anders ging, dann zeigte er zur Not Filme speziell für Männer, es war ihm egal. Zurück in Würzburg aber hätte er sich selbst damit nicht mehr behelfen können. Dort gibt es nur noch zwei Multiplex-Kinos, eines in der Stadt, eines an der Autobahn, darauf hätte Göbel keine Lust gehabt.

Und das Programm? Klingt schwierig, Thomas Schulz weiß das. Er ist im Vorstand der Genossenschaft und kennt die Bedenken. Dass ein Programm von 250 Beteiligten nämlich so harmonisch klingt, als würde man Alice Schwarzer und Kristina Schröder auf eine Coach setzen zum gemeinsamen Fernsehabend. Man werde darauf achten, sagt Schulz, dass eine kleine Programmgruppe die Richtung vorgibt, höchstens 15 Leute mit Sinn für den zeitgenössischen Film, "damit da keiner seine Lieblingsfilme durchzudrücken versucht".

Begonnen hat das "Central" mit Italienischen Filmtagen, das Kino mit den 190 Plätzen war gut besucht dabei. Nur über Rückenschmerzen klagte der eine oder andere, daran aber wird man sich gewöhnen müssen. Den Lehrern im ehemaligen Mozart-Gymnasium soll es bei Konferenzen nicht anders ergangen sein auf diesen Stühlen.

Und wenn sich nun doch noch ein Investor findet? Gegen ein Einkaufszentrum hat der Kunstfilm keine Chance, das weiß auch Clemens Bieber, der sich in Würzburg als Domkapitular einen Namen gemacht hat, seit neuestem auch als Genosse. Bieber ist wie Peter Göbel noch nicht so lange in der Stadt, das mit dem fehlenden Programmkino ist auch ihm aufs Gemüt geschlagen.

Und wenn es nur ein kurzes Vergnügen sein sollte, sagt er, "es geht hier auch um ein Zeichen gegen die kulturelle Mangelversorgung in einer großen Universitätsstadt". Schon allein dafür habe sich der Aufwand gelohnt.

© SZ vom 18.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: