FDP vor der Europawahl:Auf dem Sprung

Lesezeit: 3 min

Die Münchner Stadträtin Nadja Hirsch kämpft um ein Mandat für Europa - ihre Aussichten sind ganz gut.

Jan Bielicki

Ein sehr frischer Wind fegt über den Festplatz der Münchner Vorortgemeinde Planegg. Die Böen reißen Schirme und Stände um, und weil die Menschen sich in die Bierzelte geflüchtet haben, sind auch Nadja Hirschs Wahlkampfpläne für diesen Abend verweht.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Eigentlich wollte die 30-Jährige bei einem Rundgang sich den Leuten als Bayerns FDP-Spitzenkandidatin vorstellen, schließlich liegen hier in den gehobenen Wohnlagen des Würmtals die klassischen Wählerjagdgründe der Liberalen. Doch der Sturm hat die potentiellen Wähler verblasen, Hirsch entschließt sich zum Rückzug.

Im Nebenraum einer Pizzeria im Sportzentrum des Nachbarorts Neuried warten allerdings auch nicht allzu viele Leute auf die Kandidatin. Die lokale Parteiprominenz ist da, der FDP-Bundestagsabgeordnete, der FDP-Bundestagskandidat, der FDP-Gemeinderat aus Neuried, der FDP-Gemeinderat aus Planegg, der Vater des FDP-Gemeinderats aus Planegg, insgesamt ein gutes Dutzend Leute, die sich alle kennen aus dem liberalen Umfeld. Man ist unter sich.

Ein paar Notizen nur hat sich Hirsch gemacht. Ihren Standardvortrag "Für Bayern in Europa - Wissensgesellschaft Europa" hält sie zur Zeit fast jeden Tag mindestens einmal zwischen Aschaffenburg und Reichenhall. Sie spricht von "Investitionen in die Köpfe" oder vom "achten Rahmenforschungsprogramm", aber dabei scheint sie sogar vor den eigenen Leuten in Neuried ziemlich nervös zu sein.

Sie redet schnell, manchmal etwas fahrig, bisweilen etwas haspelig. Dann wirkt die blonde Frau noch jünger, als sie ohnehin ist - und neben dem eloquenten örtlichen Bundestagskandidaten Jimmy Schulz fast wie ein Lehrmädchen der Politik, das sich manchmal von ihrem Vater, einem Taxiunternehmer, durch dieses große Abenteuer Wahlkampf fahren lässt.

Ein Polit-Azubi aber ist sie nicht. Die Umfragen für die FDP verheißen ihr mehr, als es die dünn besetzten Tische in Neuried vermuten lassen: Auf Platz neun der bundesweiten FDP-Europaliste abgesichert, kann sie fast sicher ihren Umzug nach Brüssel und Straßburg planen. Sie ist es gewohnt, immer schon die Jüngste gewesen zu sein.

Mit 23 kam sie ins Münchner Rathaus als jüngste je dorthin gewählte Stadträtin. Ihr Trumpf damals: Bei den Liberalen, über Jahre erfolglos in der Landeshauptstadt, verabschiedete sich gerade die alte Garde, und Hirsch meldete als selbstbewusste Chefin der Nachwuchsorganisation Junge Liberale ihre Ansprüche auf einen vorderen Listenplatz an.

Es reichte, um Teil des liberalen Frauen-Trios zu werden, das 2002 ins Rathaus einzog - und sich dort vor allem heftigste Kämpfe untereinander lieferte. Die langjährige Stadtvorsitzende Gabriele Neff, Vertreterin eines streng wirtschaftsliberalen Kurses, konnte nur selten etwas mit Hirschs kommunaler Spaßpolitik anfangen, die mal Münchens Taxis bunt einfärben, mal die Schüler später aufstehen lassen wollte. Zuletzt rangen beide darum, wer die FDP in Wahlkampf 2008 führen sollte, die ältere Neff oder Hirsch, als natürlich Jüngste aller OB-Kandidaten. Die Parteibasis wählte schließlich einen Mann.

Die ihr vorenthaltene OB-Kandidatur gibt Hirsch als einen der Gründe an, warum sie sich jetzt nach Europa wendet: "Das hat sich dann so herauskristallisiert." Vor allem aber hat sich ihr wieder einmal eine den eigenen Karriereplänen äußerst günstige Konstellation in der eigenen Partei geboten.

Der FDP-Erfolg bei den Landtagswahlen brachte vielen der davor lange darbenden Bayern-Liberalen unverhofft Mandate - und dünnte so das Feld derer aus, die nach Brüssel strebten. Im Ringen um Bayerns einzigen erfolgversprechenden Platz auf der FDP-Bundesliste hatte sie zudem ein Alleinstellungsmerkmal: Sie ist unter den bayerischen FDP-Kandidaten die einzige Frau neben zwölf, in der Mehrzahl grauköpfigen Männern - deren Zielstrebigkeit manche unterschätzten.

Sie gilt dazu als bestens vernetzt. Landeschefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat die junge Stadträtin schon länger in einem parteiinternen Mentorenprogramm unter die Fittiche genommen. "Die Bürgerrechte sind mir enorm wichtig", folgt Hirsch der ehemaligen Bundesjustizministerin und warnt vor Vorratsdatenspeicherung und "einem europäischen Überwachungsstaat".

Sehr viel konkreter wird es nicht an diesem Abend in Neuried, und auch die lokalen IT-Unternehmer, die sie nach europäischer Technologiepolitik löchern, sind mit ihren ausweichenden Antworten so wenig zufrieden, dass ihr einer ins Wort fällt. "Lassen Sie mich mal ausreden!", fährt sie daraufhin den Mann an, erstaunlich scharf - und gar nicht mehr zu mädchenhaft.

© SZ vom 29.05.2009/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: