Ist nach der Entscheidung des Landgerichts Regensburg also klar, dass Gustl Mollath von der Justiz keine Gerechtigkeit zu erwarten hat? Das wäre eine populäre, aber vorschnelle Lesart. Denn die Aufarbeitung seiner siebenjährigen Leidensgeschichte in der Psychiatrie hat erst begonnen. Und die nun abgeschmetterte Wiederaufnahme war nur das drittwichtigste von drei Verfahren, auch wenn für Mollath selbst die Rehabilitierung so wichtig sein mag wie die Freiheit. Aber ein Wiederaufnahmeantrag - selbst einer vom einschlägig erfolgreichen Anwalt Gerhard Strate - ist immer ein Angriff auf die kaum einnehmbare Trutzburg der Rechtskraft, in der sich die Justiz verschanzt.
Deshalb wird Mollath nun auf zwei weitere Gerichte hoffen müssen. Das eine sitzt am Wittelsbacherring in Bayreuth: Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts prüft derzeit, ob Mollath ernstlich als Gefahr für die Allgemeinheit gelten muss. Weil dazu aber ein neues Gutachten nötig ist, wird das noch ein paar Monate dauern. Weshalb zuvor ein anderes Gericht entscheiden dürfte, das in der Karlsruher Waldstadt residiert: Das Bundesverfassungsgericht, so ist zu hören, wird in wenigen Wochen - womöglich noch im August - über Mollaths Verfassungsbeschwerde entscheiden.
Formuliert hat die Beschwerde der kämpferische Freiburger Anwalt Michael Kleine-Cosack. Als Berichterstatter ist im Verfassungsgericht der frühere saarländische Ministerpräsident Peter Müller zuständig. Aller Voraussicht nach wird sich aber nicht etwa ein achtköpfiger Senat mit dem Fall befassen, sondern eine Dreier-Kammer. Erstens, weil es schnell gehen muss. Zweitens, weil die grundsätzlichen Fragen seit 28 Jahren geklärt sind.
"Keine sorgfältige richterliche Prüfung"
Im Jahr 1985 hatte Karlsruhe einem Kläger recht gegeben, der betrunken einen Pelzmantel geklaut hatte - und dafür mehr als elf Jahre in der Psychiatrie saß. Passagen des Beschlusses lassen sich wörtlich für die Causa Mollath übernehmen. "Befindet sich der Untergebrachte seit langer Zeit in ein und demselben psychiatrischen Krankenhaus, so ist es in der Regel geboten, von Zeit zu Zeit einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen", heißt es dort. Die Unterbringung dürfe nur so lange dauern, wie sie "unabweisbar" erforderlich sei; die bloße Möglichkeit künftiger Straftaten genüge nicht. Und: Nach langer Unterbringung liege eine "Erprobung in Freiheit" nahe.
Schöne Worte, nur halten sich die Gerichte nicht dran. Seit einigen Jahren häufen sich die Fälle, in denen Karlsruhe lang dauernde Unterbringungen rügt. Wiederkehrendes Problem: Die Gerichte referieren blutleer die Stellungnahme der Mediziner, ohne sich damit auseinanderzusetzen. "Es findet keine sorgfältige richterliche Prüfung statt, sodass die Verlängerung zum Selbstläufer wird", kritisiert der Tübinger Kriminologe Jörg Kinzig.
Karlsruhe muss also der Justiz Beine machen, wie vor Jahren beim laxen Umgang mit der Untersuchungshaft. Das wäre auch deshalb hilfreich, weil sich niemand auf den aufkeimenden Reformeifer der Rechtspolitik verlassen sollte. Der kann rasch erlahmen, wenn es nicht mehr um die Rechte des harmlos wirkenden Feinmechanikers Mollath geht, sondern um die eines eingewiesenen Kinderschänders.