Erlangen:Die beste Zeit für den Aderlass

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Vor 500 Jahren waren Kalender unentbehrlich für ein gesundes Leben. Später dienten sie auch der Unterhaltung

Von Hans Kratzer, Erlangen

Vor wenigen Wochen ist in einem SZ-Artikel das Tempotaschentuch als eine Nürnberger Erfindung gewürdigt worden. Der ehemalige Buchhändler Klaus Matthäus aus Erlangen teilte der Redaktion daraufhin mit, er habe zwar nicht das erste Papiertaschentuch entdeckt, aber immerhin die ersten Exemplare eines anderen, seit Jahrhunderten bewährten Gebrauchsartikels, dessen Ursprung ebenfalls in Nürnberg zu suchen ist. Matthäus, der einst über die Geschichte des Nürnberger Kalenderwesens promoviert hatte, sah sich bei seinen jüngsten Forschungen drei Almanache aus der Ratsschulbibliothek Zwickau für die Jahre 1541, 1544 und 1545 näher an und erkannte sie dabei als die ältesten überlieferten Schreibkalender überhaupt.

Das ist durchaus eine Sensation.

Die Geschichte des Kalenderwesens steht zwar nicht unbedingt im Zentrum des allgemeinen Interesses, aber die Entdeckung von Matthäus hat sehr wohl Relevanz. Immerhin handelt es sich um eine Einrichtung, die bis heute weltweit im Gebrauch ist und uns eine Menge über das Leben, das Wissen und die Überzeugungen früherer Generationen lehrt. Erst jetzt, fast 500 Jahre nach den ersten vom Nürnberger Hans Guldenmund gedruckten Exemplaren, wird der bewährte Notizkalender langsam vom Smartphone abgelöst.

Matthäus bezeichnet diese Kalender aus dem 16. Jahrhundert als eine großartige Innovation. Freilich kamen sie noch nicht im Gewand jener erbaulichen Volkskalender daher, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert populär wurden. Zunächst stillten die Almanache vor allem ein dringendes Bedürfnis von Gelehrten und Kaufleuten. Die Kalender halfen ihnen endlich, ihren Alltag besser zu organisieren.

Schon seit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg hingen Einblattkalender in den Häusern, die aber einen anderen Zweck erfüllten als heutige Exemplare. Sie sollten Auskunft geben, an welchen Tagen und an welchem Körperteil der Aderlass am zweckmäßigsten vorgenommen werden konnte. "Der Aderlass galt seit der Antike als eine der gebräuchlichsten Maßnahmen zur Gesundheitspflege und zur Hygiene", sagt Matthäus. Die Blutentnahme hielt man für das sicherste Mittel, um das für das Wohlergehen unabdingbare Gleichgewicht der Körpersäfte wieder herzustellen. Die zum Aderlass günstigen Tage verzeichneten eben diese Kalender. Die Daten änderten sich jährlich, weil das Mondjahr nicht mit dem Sonnenjahr übereinstimmt. Ein Laie konnte die Tage des Aderlasses also kaum selbst bestimmen.

Mitte des 16. Jahrhunderts tauchte als Variante des Einblattkalenders der Kalender in Heftform auf. Ein findiger Drucker hatte den Satz des jährlichen Wandkalenders mit den zwölf Rubriken der Kalendarien so umbrochen, dass er als Quartheft erscheinen konnte. Die Monatskalendarien waren auf der linken Seite abgedruckt, die leeren rechten Seiten konnten für Notizen benutzt werden. In weiteren Bögen boten sie als Ergänzung astrologisch begründete Prognosen zum Wetter, zu Seuchen und Krankheiten sowie zu drohendem Kriegsgeschehen. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an beinhaltete der Schreibkalender auch Unterhaltungs- und Bildungstexte. Der Kalender im Quartformat setzte sich als Prototyp des Jahreskalenders durch. "Dieses Muster hat sich letztlich bis heute erhalten", sagt Matthäus.

Die Autoren der von ihm entdeckten Schreibkalender waren die Ärzte Dionysius Sibenburger und Georg Seyfridt. Die frühen Kalendermacher waren in der Regel Mathematiker, Astronomen und Ärzte. "Und Nürnberg war der größte Kalenderdruckort des Alten Reichs", sagt Matthäus. Einer der findigsten Drucker dürfte der um 1490 geborene Hans Guldenmund gewesen sein. Der wohl von ihm angestoßene Schreibkalender entwickelte sich zu einem frühen Massenmedium, mit dem sich gutes Geld verdienen ließ. "Guldenmund war ein bunter Hund", sagt Matthäus. Er brachte populäre Schriften, Flugblätter und Einblattdrucke heraus, zahlreiche Spruchdichtungen von Hans Sachs erschienen bei ihm, er verlegte das Kleinschrifttum der Reformation und Gassenhauer-Verse. Einmal fiel er unangenehm auf, weil er den Käufermarkt mit erotischen Illustrationen bereichert hatte. Verstöße gegen Zensurbestimmungen sowie sein Lebenswandel ließen den Rat öfters gegen ihn vorgehen. Wegen seiner unsteten Existenz konnte er wohl keinen nachhaltigen Gewinn erwirtschaften. Guldenmund teilt damit das Schicksal so vieler anderer Köpfe, die den Erfolg ihrer Innovationen aus welchen Gründen auch immer nicht selber genießen durften.

Acta Calendariographica, Reprints der Bände 3.3 und 3.4, Almanach für 1541 und 1544, verfasst von Dionysius Sibenburger und Georg Seyfridt, hrsg. von Klaus Matthäus und Klaus-Dieter Herbst, Verlag HKD, 2017, je 38 Euro.

© SZ vom 03.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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