Erfindung der Guillotine:Sieben Schläge mit dem Schwert

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Diese Guillotine ist nun im Keller des Bayerischen Nationalmuseums wieder aufgetaucht. Mit ihr wurden im Dritten Reich politische Gefangene geköpft. (Foto: Walter Haberland/dpa)

Hinrichtungen waren in Bayern oft eine fürchterliche Quälerei. Wenn der Scharfrichter unkonzentriert war, dauerte der Todeskampf ewig und wurde auch noch von Hunderten Schaulustigen begafft. Die Einführung des Fallbeils sollte das ändern.

Von Hans Kratzer

18. April 1857. Auch dieses Datum kommt einem bei der Beschäftigung mit jener Guillotine in den Sinn, die vor kurzem im Keller des Bayerischen Nationalmuseums entdeckt wurde und für rege Diskussionen sorgt. Blicken wir also 150 Jahre zurück: Seit drei Uhr in der Früh herrscht auf den Straßen ein hektisches Gewurl. Horden von Neugierigen drängen in die Münchner Innenstadt, um einem makabren Spektakel beizuwohnen. Eine doppelte Hinrichtung wird nicht alle Tage geboten. Selbst die Straßen, auf denen die Delinquenten zum Richtplatz transportiert werden, sind dicht gesäumt - obwohl die Exekution bereits kurz nach fünf Uhr morgens vollzogen wird. Entleibt werden Franz Lettl und Sebastian Niedermaier, die ihren Mitgefangenen, den Räuber Heigl, mit einer Eisenkugel erschlagen haben.

Nach der Exekution berichten Augenzeugen, Lettl habe das Schafott mit festem Schritt betreten, während Niedermaier vor Entsetzen beinahe zusammengebrochen sei. Wenigstens ersparte ihnen das Fallbeil einen Todeskampf, wie ihn erst in diesen Tagen wieder ein Häftling in den USA erlitt. Im Bundesstaat Ohio war der Mörder Dennis McGuire mit einem neuen Giftmix exekutiert worden, sein qualvolles Sterben dauerte fast 25 Minuten.

Als Hinrichtungen noch mit dem Schwert vollzogen wurden, führte auch das oft zu fürchterlichen Quälereien. Normalerweise sollte ein Hieb genügen, um das Haupt vom Leib zu trennen, aber das gelang nicht immer. Desaströs endete im Dezember 1830 die Hinrichtung des Mörders Simon Eder in Burghausen. Der Scharfrichter führte sein Schwert unkonzentriert, sodass sein Knecht einschreiten musste, um das Drama mit einem gezielten Schlag zu beenden.

Als extremes Missgeschick ist die Enthauptung des 19-jährigen Sattlergesellen Christian Hussendörfer aus dem Landgericht Greding dokumentiert. Dieser war am 11. Mai 1854 in München hingerichtet worden, weil er seinen Lehrmeister in Eurasburg ermordet hatte. Zeitgenössischen Berichten zufolge brauchte der Scharfrichter Lorenz Scheller sieben Schläge mit dem Schwert, ehe Hussendörfers Haupt vom Rumpf fiel. Kürassiere brachten den dilettierenden Henker vor der aufgebrachten Menge in Sicherheit, später soll er den Verstand verloren haben.

Welch voyeuristische Massenspektakel Exekutionen bis ins 19. Jahrhundert waren, belegt Josef Ruederers (1861-1915) bestechende Münchner Erzählung "Die Hinrichtung". Gleichwohl lösten misslungene Vollzüge in der Bevölkerung stets Unruhe und Proteste aus. Der furchtbare Tod Hussendörfers setzte deshalb eine Zäsur. König Maximilian II. verordnete am 4. August 1854 die Einrichtung des Fallschwerts, um Exekutionen humaner zu gestalten. Das Wort human klingt wie ein Hohn, wenn man das besagte Henkergerät im Bayerischen Nationalmuseum betrachtet, mit dem im Februar 1943 vermutlich auch die Geschwister Scholl hingerichtet worden sind. Sicher ist, dass die Scholls unter Ausschluss der Öffentlichkeit geköpft wurden. Mit der Einführung des Fallschwerts ließ König Max II. die Hinrichtungen zunächst in die frühen Morgenstunden verlegen, um die Zahl der Schaulustigen zu verringern. Als auch das nichts half, wurden die Hinrichtungsstätten 1861 in die Gefängnisse verlegt.

Selbst im modernen Freistaat Bayern war die Todesstrafe noch länger evident als wir heute ahnen - zumindest auf dem Papier. Erst vor 16 Jahren ist sie aus der Bayerischen Verfassung getilgt worden. "Der Vollzug der Todesstrafe bedarf der Bestätigung der Staatsregierung" hieß es bis zur Reform vom 20. Februar 1998 im Artikel 47 der Verfassung. Dass Hinrichtungen dennoch kein Thema waren, lag am Grundgesetz von 1949, das die Todesstrafe bundesweit abgeschafft hatte. Aber von 1945 bis 1949 hatten bayerische Gerichte noch eine Reihe von Todesurteilen ausgesprochen. Ihr Vollzug war allerdings unterblieben, "weil die ersten Nachkriegsregierungen jeweils von ihrem Recht auf Begnadigungen Gebrauch gemacht hatten", sagt der Münchner Historiker Bernhard Grau.

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Am 19. August 1854 wurden in Bayern die ersten drei Delinquenten mit dem Fallschwert geköpft. "Die neuen Richtlinien führten damals tatsächlich zu einer Verbesserung des Strafvollzugs", sagt Grau. Denn die Hinrichtungen gingen von da sicher, innerhalb kurzer Zeit und ohne Qualen für die Opfer über die Bühne. Die Guillotinen waren so konstruiert, dass sie leicht transportiert werden konnten. Die Scharfrichter mussten nämlich auch zu weit entfernten Hinrichtungsorten reisen. 1901 wurde die Münchner Guillotine zum Beispiel nach Augsburg geschafft, wo der Volksheld Mathias Kneißl im Hof des Landgerichtsgefängnisses hingerichtet wurde.

Allerdings war die Zahl der Todesurteile in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gar nicht mehr so groß. Die meisten Urteile wurden in Freiheitsstrafen umgewandelt. Selbst die Revolution von 1918/19 verlief relativ unblutig, die Regierung Eisner verzichtete darauf, die Eliten dem Schafott zu opfern, sagt Grau. Erst die Niederschlagung der Räterepublik ging mit standrechtlichen Erschießungen einher. Die Todesurteile der bis 1924 tätigen Volksgerichte wurden durch Erschießungskommandos vollstreckt. Die Fallschwerter blieben jahrelang stillgelegt. Zwischen 1910 und 1918 gab es in Bayern nur sechs Hinrichtungen, zwischen 1919 und 1925 hingegen 144, wie Grau herausgefunden hat.

Mit der Wiedereinsetzung der Schwurgerichte trat 1924 das Fallschwert wieder in Dienste. Vor allem der Name des Henkers Johann Reichhart steht untrennbar mit der Unrechtsjustiz der Nazis in Verbindung, die Tausende Todesurteile verhängte. Reichhart köpfte fast 3000 Opfer. Auch die Geschwister Scholl brachte er mit dem Fallbeil zu Tode, das einst zur Humanisierung des Strafvollzugs eingeführt wurde.

© SZ vom 20.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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