Einpacken, auspacken, auftreten:Landshuter Bühnenwechsel

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Das Landestheater Niederbayern erhält sein renoviertes Stammhaus zurück, derzeit dient ein Zelt als Provisorium - darin zu spielen, ist eine Kür der Kunst

Von Sabine Reithmaier, Landshut

"Den Ring des Nibelungen kriegen wir noch fertig." Da ist sich Stefan Tilch sicher. Im April startet der Intendant des Landestheaters Niederbayern mit der Premiere von "Rheingold" seinen Plan, die niederbayerische Erstaufführung von Richard Wagners monumentalem vierteiligen Hauptwerk zu meistern. Er will damit fertig sein, bevor er und sein Ensemble das Theaterzelt auf dem tristen Landshuter Messegelände verlassen und wieder in das renovierte und um einen Anbau erweiterte Stammhaus zurückziehen. Das dürfte sich locker ausgehen - mit der Eröffnung des "Bernlochner" rechnet er erst 2024. "Seit der Wettbewerb für Sanierung und Erweiterung entschieden ist, hat das Gefühl, im luftleeren Raum zu schweben, ein Ende."

Wenn der Zeitplan so eingehalten wird, wie jetzt geplant, hätte das Landestheater bis zu seiner Rückkehr zehn Jahre lang in seinem Provisorium ausgehalten. Außergewöhnlich lang für ein Interim. Tilch, Intendant seit 2002, ist sich sicher: Damit komme man "ins Guinnessbuch der Rekorde". Das hätte er verdient, schon weil er mit dem Landestheater Niederbayern, so der Name seit 2008, ein ganz besonderes Konstrukt managt. Gegründet 1952 als Niederbayerisches Städtebundtheater, bald umbenannt in Südostbayerisches Städtetheater spielt es seit 67 Jahren in Landshut, Passau und Straubing. Ein Zweckverband, der entstand, weil alle drei Städte funktionierende Spielstätten besaßen, diese unbedingt erhalten wollten, sich aber eigenständige Theater nicht leisten konnten. Also schlossen sie sich zusammen. Am Standort Landshut, dem Sitz des Landestheaters, werden seither die Sprechtheaterstücke einstudiert, in Passau das Musiktheater.

Eine Geschichte, reif fürs Guinnessbuch der Rekorde: das geplante sanierte Theater. Skizze: Bächlemeid Architekten (Foto: N/A)

Das Theatergebäude am Ufer der Isar ist aber viel älter, wurde schon 1841 eröffnet. Schon vor seiner Schließung 2013 durfte es nur noch mit einer TÜV-Ausnahmegenehmigung bespielt werden. Bereits 2011 hatte der Stadtrat die Sanierung beschlossen, aber die Suche nach einem Ausweichquartier gestaltete sich schwierig. Erst überlegte die Stadt, unmittelbar auf dem Bernlochner-Gelände an der Wittstraße eine Interimsbühne für 250 Besucher zu errichten, später für Proben nutzbar. Dann stellte sich heraus, dass dies nicht möglich war, weil das Grundstück der Stadt nicht gehörte, ihr die Hände durch einen umstrittenen Erbpachtvertrag gebunden waren. Und plötzlich sollten die Ausnahmegenehmigungen nicht mehr verlängert werden. Es pressierte. "Das Zelt war die schnellste und preisgünstigste Lösung", sagt Tilch. "Wir waren froh, dass es zügig vorwärts ging."

Von da an lautete das Motto der Truppe: "Lerne dein Zelt und seine Tücken kennen." Die provisorische Spielstätte barg außer ihrer ungewohnten Größe noch andere Schwierigkeiten: Der Boden, auf dem das Orchester spielt, hat mangels Unterkellerung keinen Resonanzraum. Die Akustik ist durch die Zeltwände ebenfalls kaum kalkulierbar, und viel größer war der Raum zudem. "Wir haben viel gelernt, und Jammern und Weinen hilft da nicht." Zu allem Überfluss versenkte das Hochwasser 2013 auch noch die zweite Bühne des Landestheaters, das Fürstbischöfliche Opernhaus in Passau. "Das war brutal, zwei Spielstätten gleichzeitig zu verlieren." Zwar konnte das Haus in Passau im Hochwasserjahr schnell wieder bespielt werden, aber im Jahr darauf wurde es endgültig für eine Renovierung geschlossen. Das Ensemble sah sich ganz neuen Bühnengrößen gegenüber, spielte in Passau in der Dreiländerhalle, in Landshut im Zelt. "Plötzlich gingen uns Räume auf", sagt Tilch, eine neue Erfahrung für ein Ensemble, das handliche, secheinhalb Meter breite Spielstätten und höchstens 300 Zuschauer gewohnt war. Aber es gab auch Vorteile. "Plötzlich funktionierten Stücke wie die ,West Side Story', was vorher unmöglich war." Und eben auch Wagners "Tristan und Isolde", denn nun war Platz da für ein großes Orchester.

Innenraum des alten Stadttheaters. (Foto: Peter Litvai)

In Passau dauerte die Renovierung nicht lang, längst spielt das Landestheater wieder im angestammten Haus. "Leider ist das Opernhaus durchs Hochwasser nicht gewachsen", spöttelt Tilch. Denn für das reisende Ensemble oder die Regisseure bleibt die Schwierigkeit, mit den sehr unterschiedlichen Spielstätten fertig zu werden. In Passau die kleine Bühne, in Landshut das große Zelt, und Straubing liege so dazwischen. "Da ist tägliches Umdenken beim Hin- und Herfahren notwendig", sagt Tilch. Auf dem Weg von Landshut nach Passau müsse sich der Schauspieler runterfahren, stimmlich und gestisch, während sich umgekehrt die Passauer aufplustern müssten. Das gilt natürlich auch für die Bühnenbilder, die wachsen und schrumpfen müssen. "Aber das hält uns wach und frisch."

Wach und frisch hielten den Intendanten auch die Politiker, auch wenn es eine inhaltliche Diskussion über ein Für und Wider des Theaters nicht oder höchstens unterschwellig gab. "Einen Rechtfertigungsdruck habe ich nicht gespürt", sagt Tilch. Ausgebremst wurde der langwierige Renovierungsprozess durch äußere Gründe. Erst durch das bereits erwähnte "Erbpachtschlamassel" (Tilch), das jahrelange Prozesse befürchten ließ. Doch die Stadt beendete die Auseinandersetzung 2015 und kaufte das Bernlochner-Areal für sieben Millionen Euro der Brauerei Wittmann ab. Darauf folgten zermürbende Debatten um Neubau oder Sanierung. Im Juli 2016 waren sich die Kommunalpolitiker einig: Eine Mehrheit sprach sich für eine Generalsanierung des Stadttheaters im Bernlochner-Komplex aus - und gegen einen Neubau.

Intendant Stefan Tilch. (Foto: Peter Litvai)

Doch im Herbst 2016 wechselte der Oberbürgermeister, noch einmal wurde alles überdacht. Gott sei Dank, sagt Tilch rückblickend. Denn dabei fiel auf, dass die geplante Steigerung auf 500 Sitzplätze allein durch die Renovierung nicht zu erreichen war. "Angesichts dessen, dass auch die Bühne erweitert werden sollte, konnte das nicht funktionieren." Neue Berechnungen ergaben, dass nicht einmal mehr 300 Plätze möglich waren - "damit ist kein Theater auch nur annähernd wirtschaftlich zu führen". Also entschied sich der Stadtrat einstimmig, das alte Gebäude nicht nur zu sanieren, sondern auch zu erweitern und schrieb einen Wettbewerb aus. Dass der damalige Finanzminister Markus Söder eine 75-prozentige Förderung der Kosten zugesagt hatte, erleichterte der Stadt die Entscheidung. Und Tilch war zu diesem Zeitpunkt schon froh, nicht in einem Interimesgebäude zu sitzen. Das Zelt habe den Vorteil, sein Verfallsdatum in sich zu tragen, sagt er. "Hätte man ein anderes Gebäude hergerichtet, wäre die Argumentation, warum wir überhaupt noch ein Theater brauchen, schwieriger geworden."

Im Februar wurde jetzt der Sieger des Wettbewerbs präsentiert: das Konstanzer Architekturbüro "Bächlemeid", das sich gegen 42 andere Planungsbüros durchsetzte. Binnen von fünf Jahren, so Tilchs Hoffnung, sollen Sanierung und Anbau verwirklicht sein. Kostenvolumen: 43 Millionen Euro. Zwischen 380 und 420 Zuschauer wird das Theater fassen. Und wenn der Graben das Orchester noch aufnimmt - dann funktioniert vielleicht auch Wagner.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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