Einfach aufgelegt:Schüler wählt Notruf - und wird abgewimmelt

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Der Polizist wurde wegen Körperverletzung im Amt verurteilt. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Ein Jugendlicher wird zusammengeschlagen, weil ein Polizist ihm nicht glaubt, dass er bedroht wird. Nun muss der Beamte eine Geldstrafe zahlen

Von Christian Rost, Augsburg

Lustlos hörte sich ein Polizeibeamter in der Einsatzzentrale in Augsburg den Notruf eines jungen Mannes an. Der 17-Jährige bat höflich um Hilfe, weil ihn mehrere Jugendliche bedrohten. Der Polizist nahm ihn nicht ernst und wimmelte ihn ab. Dann wurde der Schüler zusammengeschlagen. Für den Beamten hat das Konsequenzen: Das Augsburger Amtsgericht verurteilte ihn am Donnerstag wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Amt zu einer Geldstrafe in Höhe von 6000 Euro.

Der Schüler war am 29. März 2016 in Stadtbergen (Kreis Augsburg) mit einem Freund unterwegs. Sie trafen auf drei Jugendliche, die noch eine Rechnung mit ihnen offen hatten. Sie beschuldigten die beiden, Monate zuvor einen Jugendlichen aus ihrer Gruppe abgepasst und geschubst zu haben. Nachdem sie also den Freund des Schülers vom Fahrrad gestoßen und auf ihn eingeschlagen hatten, wandten sich die Angreifer dem 17-Jährigen zu. Der hatte inzwischen versucht, die Polizei zu rufen, war aber barsch abgewiesen worden. Nur weil einem ein paar Jugendliche hinterherlaufen, werde er keinen Streifenwagen schicken, sagte der Beamte: "Geht's heim und fertig", meinte er noch und legte auf.

In der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Schwaben Nord nahm an jenem Tag der 53-jährige Angeklagte die Notrufe entgegen. Der Mann ist seit 1980 Polizist und seit sieben Jahren in der Zentrale eingesetzt. "Da hör ich mir an, oder sollte mir zumindest anhören, was die Leute zu erzählen haben", beschreibt er seine Tätigkeit vor Gericht und räumt sogleich ein, dem Schüler nicht richtig zugehört zu haben. Der junge Mann hatte sich am Telefon mit seinem Namen vorgestellt, was dem Polizisten seltsam vorkam, weil das in der heutigen Zeit eigentlich niemand mehr mache. Und als der Schüler in ruhigem Ton unaufgeregt berichtete, dass er bedroht werde und sein Freund schon geschlagen worden sei, dachte sich der Polizist, "dass das schon von der Stimmlage her überhaupt nicht zu einer Notsituation passt". Der Anrufer habe mit "total entspannter Stimme" gefragt, ob "mal jemand vorbeikommen" könne, erinnert sich der Angeklagte. Deswegen habe er ihm geraten, "aus der Gefahrenzone zu gehen". Er könne ja, sagte der Polizist zu dem Schüler, zur nächsten Inspektion laufen. Die lag allerdings einen halbstündigen Fußmarsch entfernt.

Die drei aggressiven Jugendlichen gingen nacheinander auf den Schüler los. Einer schlug ihn mit der Faust zu Boden, alle drei traten auf ihn ein. Am ganzen Körper erlitt er Hämatome und Blutergüsse. Auch ein blaues Auge trug er davon. Wochenlang habe er Schmerzen gehabt, berichtet der Schüler als Zeuge. Er litt auch an Schlaflosigkeit und Angstzuständen. Sein Vertrauen in die Polizei sei nachhaltig gestört. In der Verhandlung wählt er drastische Worte: "Das war einfach Scheiße."

Der Angeklagte entschuldigt sich bei dem Jugendlichen. Er habe die Situation falsch eingeschätzt und einen "Riesenfehler" gemacht, sagt der Polizist. Das sei nicht die Schuld der Polizei gewesen, sondern allein seine. 500 Euro Schadenersatz will er dem Opfer zahlen. Sein Verhalten am Telefon erklärt der Beamte nicht nur mit mangelnder Aufmerksamkeit, sondern mit psychischen Problemen. Schon 2006, als er noch bei der Verkehrspolizei war, gab es Beschwerden über ihn. "Dünnhäutig" sei er gewesen, "jeder Dreck" habe ihn "auf die Palme" gebracht. Aufbrausend und aggressiv war er offenbar auch am Telefon in der Notrufzentrale. Jedenfalls musste ihn sein Vorgesetzter mehrfach ermahnen. Mittlerweile ist er nicht mehr dort eingesetzt. Und Hilfe hat er sich auch gesucht beim zentralen psychologischen Dienst der Polizei. Nach dem Vorfall mit dem Schüler beschäftigten sich die internen Ermittler des Landeskriminalamts mit dem Kollegen. Die Staatsanwaltschaft schickte ihm schließlich einen Strafbefehl über 4800 Euro zu, gegen den er Einspruch einlegte.

Vor Gericht plädiert sein Anwalt auf eine Verurteilung wegen fahrlässiger und nicht wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Der Verteidiger zieht in Zweifel, dass der Beamte die Gefahr für den Jugendlichen zwingend erkennen musste. Der Staatsanwalt indes sieht den Vorsatz als erfüllt an: Der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass der Jugendliche zusammengeschlagen wurde. Hätte der Polizist eine Streife geschickt, so der Ankläger, wäre diese in fünf bis zehn Minuten dort gewesen und es wäre nichts passiert. Die Vorsitzende Richterin sah es ebenso und verhängte eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 60 Euro. "Sie sind kein Anfänger, sie mussten davon ausgehen, dass etwas passiert", begründet sie ihr Urteil. Mit seinem Verhalten habe er einen "riesigen Schaden für das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit" verursacht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

© SZ vom 17.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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