Die neue Rolle des CSU-Chefs:Ende einer Ochsentour

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Im niederbayerischen Neustadt an der Donau fühlt sich Seehofer, als käme er von einer Schlacht nach Hause: Wie der CSU-Chef in Bayern den starken Mann gibt.

Mike Szymanski

Ein fürchterlicher Knall schreckt die Leute auf. Eben noch haben sie eingeklemmt zwischen Kirche und Apotheke, Schuhladen und Metzger auf dem kleinem Marktplatz von Neustadt an der Donau in der Abendsonne gedöst. Aber jetzt kommt Horst Seehofer. Hier, nicht weit von Seehofers Heimatstadt Ingolstadt entfernt, empfangen ihn die Böllerschützen und die "Ochsentreiber". So heißt die Kapelle. Und das passt alles sehr gut, denn Seehofer fühlt sich, als käme er von einer Schlacht nach Hause.

Im ersten Amtsjahr als bayerischer Ministerpräsident ging es für Horst Seehofer schlicht ums politische Überleben - jetzt ist er wieder obenauf. (Foto: dpa)

Es ist Freitagabend und das Ende einer außergewöhnlichen Woche. Am Montag ist Bundespräsident Horst Köhler überraschend aus dem Amt geflüchtet. Die Tage darauf war CSU-Chef Seehofer viel in Berlin unterwegs. Einen neuen Bundespräsidenten suchen, den größten anzunehmenden Spar-Gipfel des Landes vorbereiten, dem jungen FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler nebenbei die Kopfpauschale ausreden.

Die Koalition ist nicht in Form. Seehofer dafür schon. Es war seine Woche. "Nach diesen Tagen der Folter kommt man gerne nach Bayern", schmiegt sich Seehofer jetzt den Neustädtern an. Auf einmal sind die Bayern wieder wer in Berlin. Das erste Mal seit seinem Amtsantritt als Parteichef und Ministerpräsident vor mehr als anderthalb Jahren hat man den Eindruck, dass Seehofer in seinem Amt angekommen ist. Er erzählt, dass es ihm im ersten Jahr nur darum ging, im Amt zu überleben. Und so hatte man ihn auch erlebt. Defensiv, misstrauisch, manchmal auch lustlos.

Das bisschen Wahlkampf in Neustadt heute ist fast schon Urlaub für ihn. Der Kreis Kelheim wählt am 4. Juli seinen Landrat. Es ist eine der wenigen Wahlen, die die CSU in diesem Jahr zu bestehen hat. Deshalb der Besuch. Das Landratsamt ist seit 18 Jahren fest in der Hand von Hubert Faltermeier, einem Freien Wähler. Er hat den Amtsbonus, das macht es CSU-Kandidat Martin Neumeyer doppelt schwer. "Sympathisch, praktisch, gut" - steht auf dessen Plakaten. Fast wie in der Schokoladenwerbung. Aber seitdem die Berliner Koalition ein so trauriges Bild abgibt, ist Neumeyers Wahlkampf alles andere als eine süße Angelegenheit. Da muss eben Seehofer ran.

Wenn der CSU-Chef auf die Kopfpauschale zu sprechen kommt, redet er, als hätte er ein böses Tier erlegt. "Es gibt immer noch Zuckungen", erzählt er den Leuten, aber er werde keine Ruhe geben, bis die Kopfpauschale tot ist. Das kommt bei den Neustädtern an.

Sie klatschen auch Beifall, als Seehofer auf die Finanzmarkttransaktionssteuer zu sprechen kommt. Damit will er die Spekulanten an den Kosten der Krise beteiligen. In der schwarz-gelben Koalition in Berlin war man der Meinung, diese Abgabe wäre SPD-Gedöns. Dann kam Seehofer. Nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen forderte er sie auf einmal ganz heftig. Er nervte Kanzlerin Angela Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle so lange, bis auch Schwarz-Gelb die neue Steuer wollte.

Die CSU kann eine sehr kalte Partei sein, mit ihrem Spitzenpersonal geht sie schonungsloser um als alle anderen Parteien. Sie misst ihren Vorsitzenden einzig und allein daran, ob sie mit ihm an der Spitze Wahlen gewinnt. Noch Anfang Januar hatte Seehofer intern zu kämpfen. Das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl mit 42,5 Prozent war noch nicht verarbeitet.

Die Fraktion traf sich zur Winterklausur in Kreuth. Es lag eine Revolte in der Luft - vordergründig ging es um den schwachen Fraktionschef Georg Schmid. Aber Seehofer fürchtete auch, dass die CSU in Umfragen unter die 40-Prozent-Marke sackt. Eine offene Personaldiskussion um ihn wäre dann nicht mehr aufzuhalten gewesen.

Es geschah aber das, was später Abgeordnete als Wunder von Kreuth bezeichneten. Die CSU lag in der Umfrage bei 41 Prozent - was wie eine Erfolgsmeldung gefeiert wurde. Der Putsch gegen Schmid blieb aus. Abends ging Seehofer von Tisch zu Tisch, die Abgeordneten sangen Lieder mit ihm. Wenn man so will, war das der Moment, in dem die Fraktion Seehofer als Anführer akzeptiert hat.

Und jetzt, wo es die Union insgesamt in den Umfragen in den Keller reißt, Merkel angeschlagen ist und Westerwelle noch unbeliebter, da gibt Seehofer den starken Mann. Und wie stark er sich zur Zeit fühlt: Neulich hat Seehofer seiner Fraktion im bayerischen Landtag sogar einen Maulkorb verpasst. Als Fraktionschef Schmid die Abgeordneten darauf vorbereiten wollte, dass der ausgeglichene Haushalt in Bayern wohl bald Geschichte sei, verdonnerte Seehofer die Abgeordneten dazu, "das Maul zu halten". Und die Fraktion verstummte. Seit Schmid sie führt, ist sie zu Seehofer kein wirkliches Gegengewicht.

In seinem Kabinett hält er die Ehrgeizlinge Christine Haderthauer, Markus Söder und Georg Fahrenschon bei Laune, mal hebt er den Daumen über den einen, mal über den anderen. Alleingänge erlaubt er sich seltener, seine Entscheidungen bereitet er in den Parteigremien vor. Allein vergangene Woche gab es drei Telefonkonferenzen. Einer aus dem CSU-Vorstand sagt: "Er hat die Dinge in München so geordnet, dass nirgendwo Gefahr droht."

Seehofers Machtzentrum ist die Staatskanzlei geworden, dort sitzen heute seine Vertrauten. Staatskanzleichef Siegfried Schneider gilt als loyaler Hausmeier. In Brüssel hält ihm der Europagruppenchef Markus Ferber den Rücken frei.

Unberechenbar ist Berlin, und dort vor allem Verteidigungsminister Karl- Theodor zu Guttenberg. Das zeigt der Streit um die Wehrpflicht und die geplante Schließung von Kasernen. Guttenberg nimmt auf Regionalinteressen keine Rücksicht. Das war schon bei der Staatshilfe für Quelle so, als Guttenberg in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister den Bremser gab. In der Bevölkerung macht ihn das populär. Seehofer aber ärgert das. Je stärker er in München wird, desto rebellischer agieren die Berliner Parteifreunde.

Und es bleibt die verunsicherte Parteibasis. Da muss man nur Werner Loeper fragen, 61 Jahre alt, seit knapp 40 Jahren CSU-Mitglied - gleichermaßen Seehofer-Verehrer wie Kritiker. In Neustadt filmt er den Ministerpräsidenten bei jedem Schritt. Trotzdem sagt er: "Man traut ihm noch nicht." Ganz unten, bei den Leuten, ist Seehofer derjenige, der allen alles verspricht.

Es gibt dazu eine Geschichte. Den Augsburgern, die sich sehnlichst eine Aufwertung ihres Klinikums wünschten, hatte Seehofer in seiner Anfangszeit aus einer spendablen Laune heraus ins Goldene Buch der Stadt geschrieben: "Die Uniklinik kommt." Bis heute weiß er nicht, wie er das Versprechen zur Zufriedenheit aller einlösen kann, weil das Geld fehlt. Und solche Versprechen machte er oft. Seither tragen ihm die Bürgermeister ihre Goldenen Bücher hinterher, wo immer Seehofer auftaucht. Aber Seehofer hat dazugelernt. Die Neustädter wünschen sich ein Gymnasium. Seehofer hat es ihnen nicht versprochen.

© SZ vom 07.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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