Deggendorf:Stell dir vor, es gibt Freibier - und keiner geht hin

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Was für eine Pleite: Da wollte die Stadt Deggendorf die Erstsemster mit einer Ladung Freibier begrüßen. Doch am Ende saß die Oberbürgermeisterin fast alleine auf der Bierbank.

Hans Kratzer

Die 1994 eröffnete Fachhochschule in Deggendorf erfreut sich bei der Studentenschaft einer imponierenden Beliebtheit. Vor wenigen Tagen haben schon wieder tausend Neulinge in der Donaustadt ihr Studium aufgenommen. Die Gegend zeichnet sich halt noch durch eine bodenständige Gemütlichkeit aus, welche auch in den akademischen Gepflogenheiten zum Ausdruck kommt. Zum Beispiel bekommt jeder neue Student ein sogenanntes Quietschie-Paket, das ihm die ersten Schritte an der Hochschule erleichtern soll.

Wenn es um den Maßkrug einsam wird: In Deggendorf haben sich Studenten dem Freibier der Stadt verweigert. (Foto: ddp)

Hocherfreut über den universitären Aufschwung, wollte auch die Stadt den Quietschies etwas Gutes tun und spendierte ihnen jetzt zur Begrüßung eine Ladung Freibier. Es war ein Bild für Götter: Die Stadträte hockten, aufgereiht wie auf einer Hühnerleiter, auf einem Bankerl und harrten der Studienanfänger, aber es verging die Zeit und weit und breit war kein Student zu sehen.

Alsbald erinnerte die Szenerie an Josef Fendls alten Volksspruch, wonach der Bauer zum Feuerschlucker im Zirkus sagte: "Schad, dass d'net dagwesn bist, wia mei Stadl abbrennt is, da hättst di vollfressn könna!"

Und so ist wohl zum ersten Mal in der 1600-jährigen Geschichte des Bayernlandes ein Freibier unangetastet geblieben. Als schließlich doch noch ein paar Erstsemester zufällig über den Stadtplatz schlenderten, wurden sie von Oberbürgermeisterin Anna Eder höchstpersönlich eingefangen. Sie konnte sich danach wenigstens rühmen, jeden einzelnen Studenten per Handschlag in der Stadt willkommen geheißen zu haben.

So manches, was in Deggendorf geschieht, entzieht sich rationalen Erklärungen. Man könnte, um das Ausbleiben der Studenten zu erklären, vielleicht Gerhard Polts These heranziehen, wonach "the idea of Freibier in Bavaria deeply religious" sei. "The more you drink, the more the idea of democracy becomes visible." Beim Bierkrieg im oberbayerischen Dorfen vor hundert Jahren erwies sich das Freibier aber trotz seiner demokratischen Natur als ziemlich verhängnisvoll: Die Kämpfe und die Angriffslust wurden durch das an die Löschmannschaften ausgeschenkte Freibier noch zusätzlich angeheizt, heißt es in den alten Berichten.

Freilich, Religion und Bierkrieg reichen nicht hin, um die Pleite zu erklären, die Bürgermeisterin und ihre Stadträte rätselten lange, warum sie auf ihrem Freibier hocken geblieben sind. Zwar ist der Genuss von Bier selbst in Niederbayern noch nicht klausurrelevant, aber auch das dürfte bei dem Deggendorfer Freibier-Reinfall nur eine geringe Rolle gespielt haben. Vielleicht lag das Ausbleiben der Studenten einfach nur daran, dass die Deggendorfer es versäumten, den Studenten einen Berg Knödel zu servieren, einen Genuss also, den sie ihren Besuchern ansonsten gerne angedeihen lassen. Immerhin ist Deggendorf eine berühmte Knödelstadt, auf dem bekanntesten Brunnen der Stadt thront sogar eine Knödelwerferin.

Sie erinnert an jenen unvergessenen Heldentag, an dem die Deggendorfer einen böhmischen Heerhaufen vor den Toren der Stadt so lange mit Knödeln bewarfen, bis dieser entnervt die Flucht ergriffen hat. Die Universalität des Deggendorfer Knödels prädestiniert ihn also geradezu als unverzichtbaren Bestandteil eines Quietschie-Pakets.

Dass Freibier allein nicht zieht, verrät ein Blick in die Deggendorfer Nachbarstadt Passau: Dort bekamen die Erstsemester zwar keine Knödel, aber einen Leberkäs serviert. Die Studenten, so heißt es, seien zu Hunderten angerückt.

© SZ vom 08.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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