CSU: Horst Seehofer:Eine Frage der Glaubwürdigkeit

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Parteiinterne Debatten: Nach der Wahlpleite wird CSU-Chef Seehofer von der Vergangenheit eingeholt - doch er stellt sich nicht.

Olaf Przybilla und Kassian Stroh

Im April gab sich Horst Seehofer noch optimistisch. "Wir werden besser abschneiden", antwortete der CSU-Chef und Ministerpräsident damals auf die Frage, ob er nicht gehen müsse, sollte die CSU bei der Europa- und der Bundestagswahl ähnlich schlecht abschneiden wie bei der Landtagswahl, die seine Vorgänger die Ämter gekostet hat. "Und weil der von Ihnen postulierte Fall nicht eintritt", sagte er den Interviewern des Focus, "muss ich mich damit auch nicht beschäftigen."

Nun muss er es doch. Der postulierte Fall ist eingetreten.

Die Europawahl war mit 48,1 Prozent zwar deutlich besser als gedacht, die aber nennt Seehofer inzwischen ein "Ausreißerergebnis". Bei der Bundestagswahl erlebte seine CSU mit 42,5 Prozent eine Pleite. "Jemand, der wie ich in solcher Verantwortung steht, wird zwangsläufig an Ergebnissen gemessen", sagte Seehofer auch im April. Er will sich jetzt aber nicht messen lassen. Deshalb erinnern ihn andere daran.

Am 21. November 2008 trat Seehofer mit seinem damaligen Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg in Erlangen vor 300 mittelfränkische Kommunalpolitiker. Es war der Beginn einer ganzen Reihe von Regionalkonferenzen in allen Bezirken zur Aufarbeitung der Landtagswahl.

Da habe er doch gesagt, er werde sich nach der Bundestagswahl an seinem Ergebnis messen lassen und zurücktreten, wenn dieses nicht besser ausfalle als das von Günther Beckstein bei der Landtagswahl - daran hat Kurt Taubmann, der CSU-Ortsvorsitzende in der mittelfränkischen Gemeinde Wieseth, seinen Parteivorsitzenden in einem Brief erinnert. Und er hat gefragt: Gilt das noch?

Es ist unklar, ob Seehofer das Wort Rücktritt in den Mund genommen hat. Er selbst sagt dazu nichts. Mehrere Teilnehmer berichten aber davon, Seehofer habe sinngemäß so gesprochen, wie Taubmann es schildert. Zumindest von "messen lassen", sei die Rede gewesen.

Vielleicht spielt das aber auch gar nicht die entscheidende Rolle. Für Jan Helmer, den CSU-Kreischef von Ansbach zum Beispiel nicht. "Für mich als Geschäftsführer eines Unternehmens", sagt Helmer, "ist es eine Selbstverständlichkeit, mich an der Leistung meines Vorgängers messen zu lassen." Dies nicht zu tun, würde gegen sein "Selbstverständnis" verstoßen. Deswegen hält er die Fragen nach der Aufarbeitung für zentral.

Taubmann geht es um Glaubwürdigkeit. Nichts läge ihm ferner als ein "Königsmord", sagt er. Aber bei der Wahrheit müsse man bleiben und zu dem stehen, was man gesagt hat. Darum, sagt Taubmann, könne er es nicht ertragen, dass es in der CSU nach der Bundestagswahl einfach so weitergehe als wäre nichts gewesen.

Glaubwürdigkeit? Dass nicht Seehofer ihm geantwortet hat, sondern nur dessen persönlicher Referent, hat Taubmann enttäuscht. Und dass in dem Antwortschreiben nur darauf Bezug genommen ist, dass der Vorsitzende momentan Wichtiges zu tun hat - zwischen den Zeilen darf Taubmann lesen: Wichtigeres als Seehofers Rede von früher - versteht Taubmann schon gar nicht.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wer dieser Tage in der CSU alles von "Glaubwürdigkeit" spricht.

Aber das ist Seehofers Strategie, jetzt werden erst die Koalitionsverhandlungen geführt, da darf es keine Schwächung geben. Analysiert wird später. "Es geht um die Zukunft Deutschlands und auch Bayerns, und da gibt es keine Personaldebatte", assistiert ihm am Dienstag der CSU-Fraktionschef Georg Schmid. Und nur einzelne wagen, diesen Zeitplan vorsichtig in Frage zu stellen.

Der Münchner CSU-Chef Otmar Bernhard etwa, der eine "zeitnahe und vorbehaltlose Aufarbeitung des Wahlergebnisses" anmahnt. Thematisiert werden könnte die Stimmung an der Parteibasis vielleicht auch bei einem Kleinen Parteitag Ende Oktober. Doch noch immer hat die CSU-Führung nicht entschieden, ob sie einen solchen einberufen wird, um den Koalitionsvertrag abzusegnen - so wie sie es 2005 getan hat. Vielleicht macht das diesmal auch nur der Parteivorstand.

Um die Glaubwürdigkeit aber wird sich die Diskussion in der CSU weiter drehen. Sie ist zum Schlüsselbegriff der parteiinternen Debatte geworden. Und es ist interessant, wer dieses Wort dieser Tage alles in den Mund nimmt. Guttenberg etwa, der sich still und leise weiter vom CSU-Chef absetzt. Das verhältnismäßig gute Ergebnis der CSU in seinem Heimatbezirk, in Oberfranken, sieht der Bundeswirtschaftsminister als Auftrag, "unseren politischen Oberfrankenstil fortzuführen. Dabei spielt die Glaubwürdigkeit die zentrale Rolle."

Oder: "In der Politik darf man Perspektiven nicht nur formulieren, man muss sie auch umsetzen und den Wähler mit der ungeschminkten Wahrheit bedienen. Glaubwürdigkeit muss substantielle Tiefe haben." Das sagt ebenfalls Guttenberg, dessen große Sympathien in der CSU auf dem Eindruck gründen, dass er geradlinig für seine Überzeugungen eintritt - im Gegensatz zu Seehofer.

Auch Guttenberg will im Übrigen "nicht ausschließen", dass Seehofer bei der Regionalkonferenz in Erlangen versprochen habe, sich am Wahlergebnis messen zu lassen. Er, Guttenberg, verschwende aber "persönlich keinen Gedanken daran, daraus jemandem einen Strick zu drehen", sagt er am Dienstag.

Guttenberg hat es eilig, er muss sich wieder um die Koalitionsverhandlungen kümmern. Für einen Satz aber reicht die Zeit noch: Für das Ergebnis der Bundestagswahl stünden "alle in der Verantwortung, auch diejenigen, die gute Ergebnisse hatten". Damit meint er sich selbst - und sein bundesweites Spitzenergebnis an Erststimmen.

So ist in der CSU nur in Andeutungen zu vernehmen, wie die Debatte über das Wahlergebnis die Frage der Schuld längst in sich trägt. Die Oberfranken weisen bereits darauf hin, dass dort die FDP der CSU noch am wenigsten Stimmen weggenommen habe. Will heißen: Guttenbergs klarer ordnungspolitischer Kurs hat hier geholfen. Für die Verluste andernorts ist dann eher Seehofer verantwortlich zu machen, der im Wahlkampf die gegenteilige Linie fuhr.

Jürgen Brand ist sich sicher, es gäbe längst "einen Aufstand in der CSU", wenn am Wahltag nicht alle Wahlkreise direkt an die CSU gefallen wären. Brand ist CSU-Ortschef in Nürnberg-Johannis. Auch er war am 21. November 2008 in Erlangen. Und auch er hat gehört, wie Seehofer dort gesagt hat, er werde sich nach der Wahl am Ergebnis messen lassen.

© SZ vom 14.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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