BR-Dokumentation:Der lange Weg zurück

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Karin Moser erinnert sich gern an ihr Leben vor dem Schlaganfall - es war unbeschwert. Mit einem Filmteam besuchte sie Stätten ihrer Kindheit. (Foto: Susanne Petz/Die Freibeuterin)

"Finden Sie sich damit ab, dass sie im Pflegeheim landen wird", sagten die Ärzte ihrem Lebensgefährten. Doch Karin Moser wachte nach einem Schlaganfall aus dem Koma auf - und lebt nun wieder zu Hause. Ein Filmteam hat sie und einen anderen Fall über Jahre begleitet.

Von Dietrich Mittler, Augsburg

Ein Lächeln huscht über das Gesicht von Werner Vogler. Die schöne junge Frau, die sich vor ihm aufbaut, hält kokett einen Schweißbrenner in der Hand. Einen Moment lang lehnt sich der 62-Jährige in seinem Rollstuhl zurück, dann steht sein Urteil: "So geht das nicht, aber die Mütze hat sie richtig auf." Mit diesem Kommentar hat Therese Vogler nicht gerechnet. "Das ist mein Mann!", ruft sie und lacht auf, "das ist mein Mann, so wie er früher war."

Werner Vogler lässt die Fachzeitschrift mit der schönen jungen Frau auf dem Titelbild auf den Tisch zurückfallen. "Ich war Schweißer und Ausbilder mit Leib und Seele", sagt er. Aber mit dem Schlaganfall war alles vorbei. Als Vogler im Klinikum Augsburg aus dem künstlichen Koma erwacht, ist er nicht mehr derjenige, der seine sechs Jahre jüngere Therese so oft zum Lachen brachte. Er ist nicht mehr der, der vor Kraft und Lebensfreude strotzte.

"Finden Sie sich damit ab, dass sie im Pflegeheim landen wird"

Vielleicht wird Werner Vogler an diesem Montagabend mit seiner Frau vor dem Fernseher sitzen - auch wenn ihn die Müdigkeit, gepaart mit Unruhe und Schmerzen, lethargisch macht. Im Bayerischen Fernsehen läuft in der Reihe "Lebenslinien" der Beitrag "Verräumte Träume. Leben nach dem Koma" (Beginn 21 Uhr). Mit Karin, der Protagonistin dieses Films, verbindet den 62-Jährigen mehr als das gemeinsame Los, nach dem ersten bewussten Kontakt mit der Außenwelt wieder ganz von vorne beginnen zu müssen. Sie beide wurden von einem Filmteam auf ihrem mühsamen Weg begleitet. Dabei ist der mittlerweile preisgekrönte Kinofilm "Zwischen Welten" entstanden.

"Zwei Menschen, die sich aus dem Koma zurück ins Leben kämpfen", so beschrieben die Produzentin Susanne Petz und ihr damaliges Team - bestehend aus Marc Haenecke, Harald Rumpf und Adrian Sieber - 2010 ihr Werk. Fast zwölf Monate lang hatten sie die beiden Patienten und deren Angehörige mit der Kamera begleitet, hatten gefilmt, wie die damals 38-jährige Karin das erste Mal wieder die Augen aufschlug, und wie Werner Vogler begann, sich wieder selbst zu rasieren.

Mehr als vier Jahre später erscheint nun eine "Fortsetzung", wie es Susanne Petz nennt. Karin lebt inzwischen wieder im heimatlichen Ketterschwang im Ostallgäu, etwas mehr als 60 Kilometer vom Haus des Ehepaares Vogler entfernt. "Finden Sie sich damit ab, dass sie im Pflegeheim leben wird", hatten die Ärzte damals ihrem Lebenspartner Wilfried Moser gesagt. Doch der Lebenswille der jungen Frau und die Liebe ihres Partners waren stärker. Sie kann wieder laufen, kann wieder sprechen, wieder Musik machen. Aber so wie früher ist es nicht mehr.

Wie sie ihr neues Leben empfindet, wird sie im Film gefragt. "Beschissen", entfährt es ihr. Sie ringt nach weniger drastischen Worten. Die aber wollen nicht kommen. "So hart!", sagt sie dann mit schwerer Zunge. Die rechte Hand hängt nach wie vor leblos herunter, noch mehr aber quält sie, dass sie nach wie vor nicht fließend sprechen kann. "Schlaganfall ist schlimme Krankheit", sagt sie. Kurz darauf reißt sie ihre ganze Kraft zusammen, stanzt Wort um Wort: "Ich - habe - meine - Träume - weggeräumt!"

Aber aufgeben, das wäre das Letzte, was ihr in den Sinn kommt. "Die Karin hat geredet wie ein Wasserfall", beschreibt sie eine Freundin. Sie sei "ein Wirbelwind" gewesen, "superlustig, einfach witzig". Kindergärtnerin zu sein, das war ihre Leidenschaft. Dann kam dieser Augenblick, als Karin plötzlich über Augenbeschwerden klagte. Damals bauten sie und ihr Partner gerade ein Haus, um darin eine Familie zu gründen. Von einem Neurologen erfuhr die junge Frau schließlich die Ursache ihrer Beschwerden: ein Hirntumor.

Der Kameramann Harald Rumpf hat vor gut vier Jahren die Zeit im Film festgehalten, in der Karin Burghart - inzwischen Karin Moser - noch im Koma lag. (Foto: Susanne Petz/Die Freibeuterin)

Karin, die davon geträumt hatte, noch viel mehr Länder als Neuseeland, Andalusien oder Südafrika zu erkunden, dachte nur noch ans Sterben. Wilfried Moser, inzwischen ihr Ehemann, erinnert sich: "Stundenlang hat sie darüber gegrübelt, wem sie ihre Möbel vererbt, wer die Gitarre bekommt und wer ihre anderen Sachen." Beinahe wären diese Ängste Realität geworden. Kurz nach der operativen Entfernung des Tumors erlitt Karin einen Schlaganfall. Um ihr Leben zu retten, versetzten sie die Ärzte in ein künstliches Koma. Ihr Lebensgefährte verbrachte jede nur mögliche Minute bei ihr.

"Wilfried ist ein besonderer Mensch, mein Lebensretter", sagt sie. Es geht aufwärts mit ihr, und das spürt sie. Aber es ist ein harter Kampf. Keine Woche vergeht ohne Ergotherapie, Logotherapie oder Krankengymnastik. Am Ende des Films traut sie sich sogar wieder mit ihrem Mann auf eine Bergtour. "Meine Träume sind zugeschüttet gewesen, meine Träume kommen jetzt raus", sagt sie schließlich.

Ihren Mann in ein Heim geben? "Niemals"

Therese Vogler wäre froh, wenn solche Worte auch aus dem Mund ihres Mannes kämen. "Werner geht es leider schlechter als früher", sagt sie, "es ist ein Kampf, jeden Tag aufs Neue." Ein Kampf, der sie beide zu zermürben droht. Mit jedem Jahr sei es schwieriger geworden. Als er aus dem Therapiezentrum in Burgau nach Hause zurückkehrte, sei er noch voller Elan gewesen, klagt sie. "Das Leben ist schwer für uns", sagt er. "Mein Mann war immer lustig, nett, fröhlich und freundlich. Und jetzt ist er nur noch verbittert", klagt sie. Er schweigt. Sie schweigt.

Therese Vogler hat ihren Beruf aufgegeben, um ganz für ihren Mann da zu sein. Ihn in ein Heim geben? "Niemals", sagt sie. Ihr Mann bräuchte einen weiteren Therapieaufenthalt in Burgau, das würde auch seine Psyche stärken. "Doch die Kasse war der Meinung, das bringt nichts", sagt sie. Letztlich schuld sei aber nicht die Techniker Krankenkasse, die sich ansonsten kulant zeige, sondern der Gesetzgeber.

Und so lebt sie damit, dass ihr Mann jede Nacht vor Schmerzen schreit. Und sie leidet darunter, dass sie den Belastungen nicht so standhalten kann, wie sie es gerne würde: "Meine Nerven liegen manchmal blank", sagt sie. Tag und Nacht sei sie gefordert. "Aber er doch auch", sagt sie dann leise.

Werner Vogler freut sich über Berichte, in denen es heißt, der Rennfahrer Michael Schumacher erwache womöglich langsam aus dem Koma. "Mensch, jetzt ist es bei dem auch so weit", sagt er. Dann greift er wieder nach seiner Fachzeitschrift, blickt auf die schöne junge Frau mit dem Schweißbrenner in der Hand. "Der hätte ich das Schweißen auch noch beigebracht", sagt er.

© SZ vom 19.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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