Bezirksversammlung Oberbayern:Die SPD braucht eine neue Gangart

Lesezeit: 3 min

Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen (Mitte) wurde in Penzberg für die Landtagswahl auf Platz eins der Oberbayern-Liste gewählt. (Foto: Manfred Neubauer)

Landesvorsitzende Natascha Kohnen will der Basis künftig auf Augenhöhe begegnen und die Wohnungspolitik in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs stellen. Bei den Umfragen liegt die Partei gleichauf mit den Grünen

Von Sebastian Beck, Penzberg

Es ist ein sonniger Tag in Penzberg, der viele Sieger und ein paar Verlierer kennt. Kurz bevor am Morgen in der Stadthalle die Wahlkreiskonferenz der oberbayerischen SPD beginnt, wird das Ja der Parteibasis zur erneuten Regierungsbeteiligung bekannt, und Willi Heidrich darf sich endlich einmal freuen: "Man kann nur was erreichen, wenn man regiert", sagt der Ehrenstadtrat von Penzberg. Seit 67 Jahren ist Heidrich nun schon SPD-Mitglied, aber seine kommunalpolitische Bilanz fällt eher mies aus. 40 Jahre habe er selbst auf diversen Oppositionsbänken verbracht. "Und was habe ich erreicht? Null." Deshalb sei er immer schon ein Befürworter der Großen Koalition gewesen und habe beim Mitgliederentscheid auch dafür gestimmt.

Nicht nur dem Ehrenstadtrat ist die Erleichterung anzumerken, auch Bayerns SPD-Landeschefin Natascha Kohnen scheint froh zu sein, dass ihre Partei zu Beginn des Wahlkampfs den politischen Totalschaden vermieden hat. Schließlich hat sie für die SPD in Berlin das Thema Wohnen federführend verhandelt, wie sie mehrmals betont - ein Nein zur Großen Koalition hätte deshalb auch sie getroffen.

"Ich bin stolz auf unsere Partei!", ruft Kohnen den Delegierten zu, die sie wie erwartet auf Platz eins der oberbayerischen Liste wählen. Allerdings, das fügt sie an: "Die Partei muss sich auf neue Beine stellen, sie muss den Sprung in das 21. Jahrhundert schaffen." Dazu brauche man eine ganz andere Gangart in der Koalition und gleichzeitig eine programmatische Diskussion in der Partei. Der Basis müsse man endlich auf Augenhöhe begegnen - anders als in den zurückliegenden Jahren.

In Bayern sei man da schon sehr weit, sagt Kohnen und verweist auf das "Open-Base-Camp" von Freitag in Nürnberg, ei-ne neuartige Basis-Diskussionsrunde, in der über alle möglichen politischen Fragen diskutiert wurde. Eines der Top-Themen auch hier: die Wohnungsnot im Freistaat, die im Landtagswahlkampf der Sozialdemokraten im Mittelpunkt stehen soll.

Die Tonlage gab Kohnen am Sonntag schon mal vor. Der Verkauf der 32 000 staatlichen GWB-Wohnungen sei ein Kapitalfehler der CSU-Regierung gewesen. Damit habe man 85000 Menschen "in den Rachen des freien Marktes hineingeworfen".

Grotesk und zynisch sei es, dass ausgerechnet der designierte Ministerpräsident Markus Söder nun eine staatliche Wohnbaugesellschaft gründen wolle - und damit einer Forderung nachkomme, die von der SPD schon seit vielen Jahren erhoben werde. Bayern müsse eine Wohnungsbau-Offensive starten, denn nicht einmal in Hof könnten Rentner noch bezahlbaren Wohnraum finden. Bei den Delegierten in Penzberg kommt Kohnen damit gut an.

Im Freistaat indes schleppt sich die Partei seit Monaten von einem Umfragetief zum nächsten. Mit zuletzt nur noch 14 Prozent der Stimmen liegt die SPD gleichauf mit den Grünen, die ihr inzwischen den Rang als Oppositionsführer streitig machen. Mit ihrem Volksbegehren gegen den Flächenfraß und Landschaftsverschandlung konnten die Grünen zudem auch bei konservativen Wählern punkten. Die SPD hingegen lehnt die Initiative als Wahlkampfgetöse ab, dringt mit ihren eigenen Themen aber allem Anschein nach bei den Bürgern kaum durch. Spitzenkandidatin Kohnen hat nicht nur ein massives Bekanntheitsproblem, auch die eigenen Anhänger trauen ihr noch wenig zu. Bei einer BR-Umfrage Anfang des Jahres gaben 36 Prozent der SPD-Anhänger an, dass sie bei einer theoretischen Direktwahl des Ministerpräsidenten Markus Söder den Vorzug vor Kohnen geben würden.

Zumindest, was ihre Bekanntheit betrifft, hat Kohnen einen unerwartet großen Sprung nach vorne geschafft - ausge-rechnet dank des Starkbieranstichs auf dem Nockherberg vergangene Woche: "Ach, es ist schon ein Dilemma. Man sieht nichts von meinem Glamour. Mit Gejodel wär ich populär", so lautete eine Zeile des Singspiels. Seitdem wird Kohnen nach eigenem Bekunden in der U-Bahn auf ihre fehlenden Jodelkünste angesprochen. Ein geradezu kurioser PR-Erfolg und eine "ganz große Hilfe", wie sie selbst einräumt.

Auch die bayerischen Jusos konnten in den vergangenen Wochen ein für sie ungeahntes Maß an Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Josef Parzinger aus Traunstein, der stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende, zählt zu den Verlierern an diesem Sonntag. Er hat in den vergangenen Wochen gegen die Neuauflage der Großen Koalition gekämpft. 66 Prozent für eine Regierungsbeteiligung, das sei doch sehr deutlich ausgefallen, sagt er enttäuscht. Viele hätten mit Bauchschmerzen und aus Angst vor Neuwahlen zugestimmt, vermutet Parzinger. Den Jusos und der SPD habe die Debatte jedoch genutzt. Nicht nur, weil man auch in Bayern einen massiven Mitgliederzuwachs verzeichnen könne. Die Partei, sagt Parzinger, sei wiederbelebt worden.

Auch in anderen Bezirken gab es am Wochenende Listenaufstellungen: Die Landtagsliste der Niederbayern-SPD führt Ruth Müller (Landshut) an. Auf Platz eins der Bezirkstagsliste steht die Landrätin von Regen, Rita Röhrl.

Die Grünen in Schwaben haben die Augsburger Bezirksvorsitzende Stephanie Schuhknecht an die Spitze ihrer Landesliste gewählt.

© SZ vom 05.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: