Deutsche Teilung:Was von der Mauer übrig blieb

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Eines der seltenen Relikte der deutschen Teilung steht unweit von Neustadt in Görsdorf (Landkreis Sonneberg). (Foto: Claudia Henzler)

Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung werden die Sperranlagen zu historischen Denkmälern.

Von Claudia Henzler

Vor 30 Jahren war die westliche Welt hinter Neustadt zu Ende. Eine Phalanx an Zäunen und Gräben versperrte die alte Verbindungsstraße zwischen der bayerischen Stadt und ihrer Nachbarin Sonneberg in Thüringen. Davon ist aber längst nichts mehr zu sehen. In der ehemaligen Sperrzone haben sich Möbelhäuser und Einkaufsmärkte breitgemacht. Von bayerischer Seite grüßen die Werbetafeln von McDonalds' und Burger King herüber. Der Verkehr rollt an einem großen Schild vorbei, das zumindest daran erinnert, dass es an dieser Stelle einmal ganz anders ausgesehen hat: "Hier waren Deutschland und Europa bis zum 12. November 1989 um 8 Uhr geteilt."

"Gebrannte Brücke" heißt dieser unscheinbare, aber historische Ort in Neustadt - nach einer kleinen Holzbrücke, die es dort im Mittelalter gegeben haben soll. Die Straße, die hier unvermittelt endete, war von den Fünfzigerjahren an ein Symbol für die Auswirkungen der deutschen Teilung. Denn hier konnte man deutlich sehen, wie zwei Städte, wenige Kilometer voneinander entfernt, beide von der Spielwarenindustrie geprägt und sowohl wirtschaftlich als auch durch familiäre Beziehungen verflochten, brutal voneinander getrennt wurden. Wohl deshalb wurde die Gebrannte Brücke im Juli 1990 zum Schauplatz eines historischen Aktes: Die Innenminister Wolfgang Schäuble (BRD) und Peter Michael Diestel (DDR) ließen dort einen Tisch aufstellen, um den Staatsvertrag über die Abschaffung der Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze zu unterzeichnen.

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Es ist einer jener Orte, an denen sich Weltgeschichte erzählen lässt, aber auch von den lokalen Ereignissen, die vom Weltlauf beeinflusst werden. Jenes Fußballspiel zum Beispiel, das im Juli 1949 auf einer Wiese unweit der Gebrannten Brücke ausgetragen wurde. Damals war die Grenze noch durchlässig, und kurzzeitig schien es sogar möglich, dass die deutsch-deutsche Teilung nicht dauerhaft sein würde. Mehr als 20 000 Menschen aus Ost und West trafen sich an einem Sonntag zu einem großen Fest mit anschließendem Freundschaftsspiel, um für die Wiedervereinigung zu werben. Einige setzten sich allerdings noch während des Spiels nach Bayern ab.

Diese Geschichten kann man nachlesen, wenn man dem Wanderweg entlang des früheren Todesstreifens folgt, dem heutigen Grünen Band. Das ist ein fast 1400 Kilometer langer Verbund aus Naturschutzgebieten, die an der ehemaligen Grenze entstanden sind. Der Landkreis Sonneberg hat in seinem Abschnitt Tafeln mit historischen Fakten und Fotos aufgestellt. Selbstverständlich auch dort, wo der ehemalige Kolonnenweg auf die Verbindungsstraße zwischen Sonneberg und Neustadt trifft.

Der Stadt Neustadt will nun ebenfalls aktiv an diese für sie prägende Zeit erinnern. Voraussichtlich Mitte November wird sie die neue "Bildungsstätte innerdeutsche Grenze" eröffnen. Früher gab es in Neustadt wie in vielen Grenzorten eine Informationsstelle, in der sich die Bundesbürger - etwa anhand einer Modellbaulandschaft - anschauen konnten, was für ein tödliches Ungetüm das DDR-Regime geschaffen hatte, um Ost- und West voneinander zu trennen: der gerodete Kontrollstreifen direkt vor dem ersten Grenzzaun, dahinter die immer aufwendiger werdende Anlage aus Zäunen, Stacheldraht, Sperrgraben, Wachhunden und Minen. Und danach der 500 Meter breite "Schutzstreifen", der an einem Signalzaun endete - und der in der Nähe von Siedlungen durch Betonelemente ersetzt wurde, wie man sie von der Berliner Mauer kennt.

Als die Informationsstelle in Neustadt 1968 eröffnet wurde, war eigens der bayerische Ministerpräsident angereist. Bis Ende 1988 kamen mehr als 230 000 Besucher, oft ganze Busladungen auf einmal. "Für Reisegruppen, die diese Informationsstätten besucht und eine Grenzführung gemacht haben, gab's einen staatlichen Zuschuss", erzählt Martin Stingl. Er ist der Kulturbürgermeister von Neustadt und gerade dabei, die ehemalige Grenzinformationsstelle als zeitgemäße Bildungsstätte wiederzueröffnen.

Das Anliegen ist zum Teil dasselbe wie früher, geht aber darüber hinaus: Man will vor allem für Schüler anschaulich machen, wo die Grenze verlief und wie sie aussah, ihnen erklären, wie es zur Teilung kam und erzählen, was sie für die Menschen auf beiden Seiten bedeutete. "Als Kommune war es uns wichtig, diese bisherige Grenzinformationsstelle offen zu halten, damit diese mörderische Grenze nicht aus der Erinnerung rutscht", sagt Kulturbürgermeister Stingl. "Da hängen viele Schicksale dran, Menschenleben - daran sollte mahnend erinnert werden."

"Die Bildungsstätte ist als Startraum gedacht"

Kern der neuen Bildungsstätte ist ein moderner, etwa 110 Quadratmeter großer Ausstellungsraum. Er wird im ebenfalls neuen Kultur- und Veranstaltungshaus der Stadt eingerichtet, der sogenannten "Kulturwerkstadt", die dank einer privaten Schenkung und mit Zuschüssen des Freistaats, der Oberfrankenstiftung und der Landesstelle für nicht-staatliche Museen möglich wurde. Nach einem kurzen Einführungsfilm zum Ost-West-Konflikt werden sich Besucher ein Modell von der Grenzanlage anschauen können und sich anhand von Leit-Exponaten den Schauplätzen lokaler Dramen nähern.

Die Gebrannten Brücke ist selbstverständlich dabei, auch das kleine Bauerndorf Görsdorf, das auf Sonneberger Seite direkt an der innerdeutschen Grenze lag und deshalb regelrecht eingemauert wurde. Reste dieser Mauer kann man heute noch besichtigen. Und das ist ausdrücklich gewünscht. "Die Bildungsstätte ist als Startraum gedacht", betont Stingl. Dort sollen sich Besucher einen ersten Überblick verschaffen, um anschließend die Außenstellen an der ehemaligen Grenze zu erkunden. Einen Hörpfad gibt es schon, nun will die Stadt noch Informationsstelen aufstellen. Über einen QR-Code wird dort Smartphone-Nutzern zusätzliches Material angeboten.

Auch das gut gemachte kleine Museum in einem Wachturm am ehemaligen Grenzübergang zwischen Rottenbach im Landkreis Coburg und Eisfeld in Thüringen zählt zu den empfohlenen Ausflugszielen. Dass es dieses Museum gibt, ist wie in Neustadt örtlichem Engagement zu verdanken. Generell sind meistens lokale Initiativen dafür verantwortlich, dass in den vergangenen 29 Jahren nicht alles verschwunden ist, was an die deutsch-deutsche Grenze erinnert. Mal waren es Privatleute, mal Vereine oder Gemeinden, die Teile der Sperranlagen vor dem Abriss bewahrten. Diese historischen Überbleibsel entlang der Grenze sind wie übrig gebliebene Puzzlesteine, für die keiner eine Schachtel baut. Denn bisher gibt es zwischen den Trägern der grenznahen Erinnerungsstätten wenig Zusammenarbeit.

Das könnte sich in absehbarer Zukunft allerdings ändern. Denn der Erfurter Landtag wird voraussichtlich kommende Woche beschließen, dass Thüringen seinen Abschnitt des Grünen Bandes als erstes Bundesland zum Nationalen Naturmonument erhebt. Dann soll es staatliches Personal geben, das die Informationen über die Museen und Erinnerungsstätten beidseits der ehemaligen Grenze bündelt.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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