Prozess in Ingolstadt:Betrogene Hoffnung

Lesezeit: 3 min

Ulrich B., der das falsche Krebsmittel beschafft hatte, sitzt - mit dem Rücken zur Kamera - bei seinen Anwälten vor Gericht. (Foto: Lisa Schnell)

Die Heilpraktikerin Renate G. soll Krebskranken eine unwirksame Proteinlösung zur Heilung angeboten und damit gutes Geld verdient haben. Ihre Verteidiger sagen nun, jeder Patient habe das Recht, die Schulmedizin abzulehnen.

Von Lisa Schnell, Ingolstadt

Sitzungssaal elf am Landgericht Ingolstadt, es ist kurz nach neun Uhr, und wer Renate G. so auf der Anklagebank sitzen sieht, darf sich ein bisschen wundern. Eine Frau, 57 Jahre, lange schwarze Haare, sorgfältig geschminkt, deren Stimmung so frühlingshaft zu sein scheint wie ihr beiger Leinenanzug. G. lächelt die Zuschauer an, sie scherzt mit ihren Anwälten und in der Mittagspause schwebt sie leichten Fußes an einem vorbei, als ginge es zu einer Matinee in die Stadt.

Da ist also die Leichtigkeit der Renate G. und dann ist da die Schwere der Vorwürfe gegen sie. Die Heilpraktikerin aus Schrobenhausen soll todkranke Menschen betrogen und mit ihrem Leid gutes Geld verdient haben. BG-Mun heißt die lila Flüssigkeit, die sie und der Ingolstädter Unternehmer Ulrich B. als Heilmittel gegen Krebs verkauft haben sollen. Obwohl sie wussten, dass BG-Mun nichts weiter sei als eine wirkungslose Proteinlösung, hätten sie Patienten geraten, ihre Chemotherapie aufzugeben. So warf es ihnen die Staatsanwältin in der vorangegangenen Verhandlung in ihrem Plädoyer vor. Damals schrieb G. jedes Wort mit, zweieinhalb Stunden lang. Nun lächelt sie und hört ihren Verteidigern zu, die ihre Sicht der Dinge darlegen.

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"Wie will ich behandelt werden?", fragt der Rechtsanwalt von G., Florian Englert, am Anfang seines Plädoyers. Auf diese Frage dürfe jeder Patient in Deutschland seine eigene Antwort geben. Das Selbstbestimmungsrecht erlaube so einiges: Die Chemotherapie abzubrechen, die Schulmedizin abzulehnen, an Bachblüten zu riechen oder Globulis zu schlucken. "Diese Wahlfreiheit ist ein hoch geschütztes Gut", sagt Englert. Eines übrigens, dass auch einer der intelligentesten Menschen unserer Zeit genutzt habe. Steve Jobs, der Gründer von Apple, behandelte seinen Bauchspeicheldrüsenkrebs mit Diäten und Kräutertherapie, weil er um seine Kreativität fürchtete - "bis es zu spät war", sagt Englert. Aber er habe ein Recht dazu gehabt. Ein Recht, das unmittelbar mit der "Würde des Menschen" zu tun habe.

"Es ist kein Zuckerwasser"

Englert zitiert so einige Studien. Insgesamt lehnten je nach Tumortyp zwischen drei und neunzehn Prozent von Krebspatienten die Schulmedizin ab. Und er referiert zu Heilpraktikern und Apothekern. Heilpraktiker dürften Krebs behandeln, Apotheker dürften Globuli verkaufen, von dem Kritiker sagten, es seien nichts als Zuckerkügelchen, und zwar für viel Geld. "Und die laufen frei rum, die müssen nicht hier sitzen", sagt er und zeigt auf seine Mandantin.

Renate G. sei in dem guten Glauben gewesen, dass BG-Mun das Immunsystem stärken könne, und laut Dissertationen sei die Lösung dazu auch in der Lage: "Es ist kein Zuckerwasser." Schließlich habe G. das Mittel auch ihrer eigenen Tochter gegeben und einen positiven Effekt festgestellt. Von überall her habe sie Erfolgsmeldungen vernommen, etwa auf Facebook, auch über die Heilung von Krebs durch BG-Mun. "Sie wollte für ihre Patienten alles tun", sagt er und erweckt den Eindruck, auch seine Mandantin sei getäuscht worden. Eine Annahme, die weitreichende Konsequenzen haben könnte, denn: Wenn sie selbst an die Heilwirkung von BG-Mun geglaubt hätte, hätte sie kaum vorsätzlich handeln können - eine Grundvoraussetzung für Betrug. Nur: Kann es wirklich sein, dass Renate G. glaubte, todkranke Krebspatienten mit einem Mittel heilen zu können, das laut Beipackzettel nur ein Nahrungsergänzungsmittel ist?

Und noch etwas scheint Englert anzudeuten: Dass die Patienten selbst auch eine Mitschuld tragen könnten. Vielleicht hätten sie sich ja nicht an alle heilpraktischen Anweisungen gehalten? "Wenn sie trotzdem Alkohol trinken, obwohl es verboten ist, dann hilft das beste Mittelchen nichts", sagt er.

Zuvor sprach sein Kollege, G.s Rechtsanwalt Hans-Jörg Weber, zu der Frage, ob G. gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen hat. Er erweckte den Eindruck, dass die Mehrheit der Patienten davon ausging, BG-Mun sei nur ein Nahrungsergänzungsmittel und eben kein Arzneimittel. Dazu zeichnete er einen Kreis in die Luft. Man solle sich eine Torte vorstellen, das seien alle 53 vernommenen Zeugen. Nur elf von ihnen, ein kleines Tortenstück, nahmen an, BG-Mun sei wirklich ein Arzneimittel. Der Rest aber, knapp 80 Prozent, sei davon ausgegangen, dass BG-Mun nur ein Nahrungsergänzungsmittel sei. Ihnen habe G. keine Heilung von Krebs versprochen, nur eine Verbesserung des Immunsystems. Von dem Vorwurf also, Renate G. habe ein Arzneimittel ohne Zulassung in den Verkehr gebracht, sei sie freizusprechen. So zumindest die Schlussfolgerung der Verteidigung.

Sie kam am Dienstag nicht zum Ende ihres Plädoyers. Nächste Woche soll die Verhandlung fortgesetzt werden.

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