Uralte Bäume in Bayern:Sensible Riesen

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Alte Bäume wie diese Linde bei Aschau faszinieren den Autor Jürgen Schuller. (Foto: Jürgen Schuller)

In Oberbayern gibt es schätzungsweise fünf Milliarden Bäume. Einige hundert Exemplare aber ragen heraus und blicken auf eine faszinierende Geschichte zurück. 

Von Hans Kratzer

Viele einheimische Bäume leiden unter Stress. Trockenheit, Stürme und Schädlinge aller Art haben ihnen in den vergangenen Jahren schwer zugesetzt. Selbst dickstämmige Baumriesen, die den Naturgewalten über Jahrhunderte hinweg getrotzt hatten, wurden zuletzt umgelegt wie Streichhölzer. Wenn prägende Bäume wie diese aus der Landschaft verschwinden, reißt das schmerzliche Lücken in die eh schon großflächig überformten Landschaften, die somit ästhetisch weiter verarmen.

Abschied genommen hat beispielsweise die Bavaria-Buche von Pondorf bei Eichstätt, ein Naturdenkmal, wie es in Bayern nur wenige gibt. Der Biologe Jürgen Schuller hat ihr deshalb am Anfang seines neuen Buchs "Faszinierende Bäume in Oberbayern" einen Nachruf gewidmet. Die Buche, deren Alter auf bis zu 800 Jahre geschätzt wurde, ist vor zehn Jahren durch ein Unwetter zerstört worden. Aber es gibt unzählige Bilder von ihr, sie war eines der populärsten Fotomotive in Bayern überhaupt. "Die Bavaria-Buche konnte die Vorstellung von perfekter Schönheit und scheinbar unbesiegbarer Lebenskraft der Natur vermitteln wie kein anderer Baum in Deutschland", schreibt Schuller. Ihr Ende begann 1995, als ein großer Ast aus der Krone brach. Von da an ließ man sie in Würde sterben. Das Unwetter von 2013 besorgte den Rest. Die SZ schrieb damals: "Die schönste Buche der Welt ist tot."

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Trotz aller Verluste bleibt festzuhalten: Bayern ist immer noch ein Baumland, in dem an Baumriesen und Baumveteranen kein Mangel herrscht. Die Zahlen, die Schuller präsentiert, sind beeindruckend. Allein in Oberbayern gibt es demnach gut fünf Milliarden Bäume, die sich auf gut 50 Baumarten verteilen (zum Beispiel Ahorn, Esche, Weide, Pappel, Buche, Linde, Kastanie sowie Nadel- und Obstbäume). Die Zahl der Bäume, die mehr als 200 Jahre alt sind, geht allein in Oberbayern in die Millionen. "Bäume und deren Vielfalt waren auch der Grund, warum ich Biologie studiert habe", sagt der Autor Schuller, der bereits zwei Baumbücher über die herausragenden Bestände in der Oberpfalz sowie in Niederbayern veröffentlicht hat.

Der Eibenwald im Landkreis Weilheim-Schongau ist heute ein Naturdenkmal. (Foto: Jürgen Schuller)

Die geheimnisvollste einheimische Baumart ist wohl die Eibe. Diese Bäume werden weder besonders hoch noch besonders dick, aber sie sind extrem langlebig und tief in der Mythologie verankert. Schuller stellt in seinem Buch den Paterzeller Eibenwald im Landkreis Weilheim-Schongau vor. Es ist ein Mischwald, in dem fünf Prozent des Bestands Eiben sind. Etliche der 2300 Exemplare könnten bereits 1000 Jahre alt sein. Der leicht sumpfige Wald mit seinen Ur-Eiben wurde wohl von der Forstwirtschaft vergessen, wie Schuller vermutet. Heute ist die Fläche als Naturdenkmal ausgewiesen und eine Besucherattraktion, die aber nicht von allen geschätzt wird. Die umfangsstärkste Eibe wurde 1997 Opfer eines Brandanschlags.

So imposant die mehr als 50 im Buch vorgestellten Bäume sind, manche von ihnen zollen längst ihrem Alter Tribut. Dazu gehört die alte Linde in Wald bei Winhöring, die einen Stammumfang von acht Metern aufweist und in den letzten Zügen liegt. Schuller schätzt ihr Alter auf mindestens 400 Jahre. Einen Umfang von 9,5 Metern weist die Zwillingslinde am Buchberggipfel im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen auf. Der Baum steht auf 855 Metern Höhe frei im Wind, seine zwei Stämme sind zusammengewachsen. Die Eiche am Schwimmbad Bichl (ebenfalls Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen) besteht sogar aus sieben Stämmen, die einst so eng in ein Pflanzloch gesetzt wurden, dass sie zu einem mächtigen Baum zusammengewachsen sind. Diese Büschelpflanzung war im 18. Jahrhundert verbreitet, denn auf diese Weise zog man sich in den Parks in schnellerer Zeit angemessene Parkbäume heran.

Der dickste Birnbaum der Welt

Eindrucksvoll wirkt auch der dickste Birnbaum von Oberbayern, der in St. Georgen im Berchtesgadener Land zu finden ist. Die Mostbirne ist 250 Jahre alt und weist einen Stammumfang von 5,72 Metern auf. Schuller hält das Exemplar für den dicksten Birnbaum der Welt.

Fast so berühmt wie die Bavaria-Buche von Pondorf ist die 30 Meter hohe Große Linde bei Ramsau (Landkreis Berchtesgadener Land), deren Stammumfang elf Meter beträgt. Bis zu einem Astabbruch im Jahr 1997 beschattete sie eine rekordverdächtige Fläche von 900 Quadratmetern. Ihr Alter wird auf 800 Jahre geschätzt. Im September 2022 wurde sie zum Nationalerbe-Baum erklärt. An ihr entzündete sich auch ein politischer Streit. Nachdem Reichspräsident Paul von Hindenburg 1933 zum Ehrenbürger von Ramsau ernannt worden war, hieß sie fortan Hindenburg-Linde. Der Name wurde nach der Nazi-Zeit von vielen nicht mehr gutgeheißen, trotzdem wird sie mitunter bis heute so genannt. Schuller schreibt, dieser wunderbare Baum habe eine solche Kontroverse nicht verdient, für ihn werde sie ganz bewusst die Große Linde bleiben.

Viele kuriose Geschichten ranken sich um die großen Bäume des Landes. Die Linden an der Wallfahrtskirche St. Valentin im Landkreis Traunstein zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus, dass sie sich zu verjüngen scheinen. Ein Foto aus dem Jahr 1904 belegt zumindest, dass eine dieser Linden damals wesentlich umfangsstärker war als heute. Sie schaut auch älter aus als zurzeit. In einer Publikation von damals wird sie als altersschwaches Gewächs geschildert. Nun wirkt sie wesentlich vitaler als vor 120 Jahren. Linden verfügen laut Schuller über eine Eigenschaft, die dem Menschen bisher versagt blieb: Sie können ihre alternden Stämme erneuern.

Jürgen Schuller: Faszinierende Bäume in Oberbayern, Battenberg Gietl Verlag, 207 Seiten, 34,90 Euro.

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