Aussichtsplattform in den Alpen:Über dem Abgrund

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Durch das Gitter im Boden blicken die Besucher des Alpspix vom Osterfelderkopf direkt in das Höllental. (Foto: Johannes Simon/Getty)

Nervenkitzel für Mutige: In mehr als 2000 Metern Höhe können Wanderer auf der Suche nach guter Aussicht auf zwei Stege treten, die direkt über das Höllental führen: das Alpspix. Für die einen ist das "Monstrum aus Stahl" ein Albtraum, für andere eine Attraktion.

Von Florian Fuchs

Es ist nicht ganz klar, ob Sonja und Paul Kempf eine unzureichende Ortskenntnis hatten, als sie sich ins Gipfelbuch eintrugen. Auf jeden Fall waren die Wanderer ziemlich fröhlich gestimmt, offenbar gefiel es ihnen hier oben, mitten in den Alpen. "Die Alpspitze wird immer schöner", notierten sie also auf einer der Seiten, und das ist ziemlich bemerkenswert. Erstens gibt es durchaus andere Ansichten. Zweitens: Ihr Eintrag steht im Gipfelbuch des Osterfelderkopfes.

Es ist nicht weit vom Osterfelderkopf bis zur Alpspitze, vielleicht haben die Wanderer auch einfach die Aussicht gelobt. Die ganz naturnahen Bergsteiger können aber auch da nurmehr unverständig mit dem Kopf schütteln, weil ihrer Ansicht nach hier oben gar nichts mehr schön ist, seit am 4. Juli 2010 dieses Monstrum aus Stahl mit dem seltsamen Namen eröffnet wurde: das Alpspix.

In mehr als 2000 Metern Höhe können Wanderer auf der Suche nach Nervenkitzel und guter Aussicht nun auf die zwei in X-Form angeordneten Stege treten, die direkt über das Höllental führen. Der Boden ist ein Gitterrost. Das Ende der Stege begrenzen Glasscheiben. Naturfreunde und professionelle Kletterer protestierten bei der Eröffnung gegen das Ungetüm und nörgeln noch heute verächtlich über den "Funpark", zu dem die Berge ihrer Ansicht nach verkommen. Sie halten das Alpspix für den Untergang des Alpenlandes. Die Touristen aber, das zeigen auch Eintragungen im Gipfelbuch wie die von Sonja und Paul Kempf, betrachten die Konstruktion mehrheitlich so, wie es sich die Betreiber erhofft hatten: als Attraktion.

"Das Argument der Kritiker mit der Verschandelung verstehe ich nicht", sagt etwa Anja Linnartz. Dabei ist die erfahrene Wanderin nicht leicht zu begeistern von Touristennepp aller Art. Ihrer Ansicht nach ist es einfach so: "Hier oben stehen die Alpspitzbahn, die Kreuzeckbahn und all die anderen Seilbahnen. Man sollte also nicht so tun, als ob hier in unberührte Natur hineingebaut worden wäre." Linnartz kommt aus Köln, trotzdem ist sie oft in den Bergen unterwegs. Zusammen mit ihrer Freundin Gitte Meuter ist sie an diesem Frühlingstag auf den Osterfelderkopf gestiegen, um sich das Alpspix mal in Ruhe anschauen zu können.

Die Sonne glitzert, es ist schönstes Wetter. Viel los ist Mitte Mai trotzdem noch nicht: Der Osterfelderkopf ist nach dem langen Winter noch immer nur über weite Schneefelder zu erklimmen, die meisten Bahnen öffnen erst jetzt wieder nach und nach, nachdem sie eine Pause eingelegt hatten im Anschluss an die Skisaison. Ende Mai dürfte der Auftrieb langsam beginnen, und dann haben die mächtigen Stahlbauten des Alpspix wieder eine Menge Körpergewicht zu tragen: Im Sommer ist hier richtig was los.

Der Deutsche Alpenverein hat das Alpspix bei der Eröffnung nicht gegeißelt, sondern auch darauf verwiesen, dass es neben all den Seilbahnen auf eine weitere Monstrosität nicht ankomme. Extremkletterer Stefan Glowacz war darüber so erbost, dass er aus dem Verein austrat, mit etwas ungelenken Worten über die "Fastfood-Attraktion" und den "Geschmacksverstärker Alpspix" zeterte und sich schließlich aus Protest von einem der Stege in einem Hängebiwak abseilte. "Das war ein bisschen übertrieben", meint Milan aus Tschechien. Der Mann mit den Wanderstöcken steht auf der oberen der zwei Plattformen und schaut runter nach Garmisch und Grainau. "Ich halte nichts von einem Funpark in den Alpen. Aber an einem eh schon so touristischen Ort wie hier ist Nervenkitzel für Leute, die sonst nicht so oft in den Bergen unterwegs sind, doch kein Verbrechen."

Mit Blasinstrumenten trauen sich wohl nur die wenigsten auf das Alpspix. (Foto: Getty Images)

Jeweils 24 Meter lang und drei Meter breit ragen die beiden Stege vom Fels hinaus ins Nichts. "Ein bisschen kribbelt es im Bauch, wenn man hier steht", sagt Wanderer Milan. Für Menschen mit Höhenangst ist das Alpspix definitiv keine angenehme Erfahrung. Am Anfang aber war es noch unangenehmer, deshalb haben die Betreiber von der Bayerischen Zugspitzbahn AG inzwischen noch einmal nachgerüstet: Mächtige 30 Tonnen wiegen die Panoramastege, denn ganz besonders Übermütigen ist es in der Anfangszeit nach der Eröffnung trotz dieses gewaltigen Gewichts immer wieder gelungen, das Gebilde durch Hüpfen zum Wippen zu bringen. Jetzt gibt es vier Massendämpfer unter den Stegen und noch jeweils ein zusätzliches hydraulisches Dämpfungselement, damit das Alpspix nicht mehr schwingt.

Anja Linnartz bestätigen Episoden wie diese in ihrer Ansicht, lieber mal an einem Frühlingstag die Aussicht vom Alpspix zu genießen, an dem zwar noch Schnee liegt, aber die weniger bergerprobten Touristen noch nicht in Horden einfallen. "Einen Auflauf mit Leuten, die mit der Seilbahn hochfahren, von der Plattform kurz über das Tal schauen und dann wieder mit der Seilbahn hinunter fahren, das brauche ich mir nicht antun", sagt sie. Alpen-Achterbahnen, Bike-Parks oder Gletscherparks mit Figuren aus den Animationsfilmen von Ice Age, wie es sie anderswo in den Bergen gibt, für all das fehlt Linnartz das Verständnis. Erfahrene Bergsteiger, da ist sich die Kölnerin sicher, halten sich an Orten wie dem Osterfelderkopf normalerweise nicht lange auf, sondern brechen höchstens von dort aus zu Touren in unberührtere Natur auf. "Mancher Höhenweg ist wesentlich spektakulärer als das Alpspix", sagt sie.

Braucht es dieses Monstrum aus Stahl also? "Nein", sagt Linnartz, "aber es stört auch nicht." Und für all die Urlauber, die einen Abstecher in die Berge machen und so ein Panorama sonst nur aus dem Fernsehen kennen, "für die ist das doch in Ordnung".

© SZ vom 18.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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