Ausbildung der Polizei:Tödliche Schüsse im Einsatz

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Es ist wohl das Schlimmste, was Polizisten im Dienst passieren kann: In Starnberg haben Beamte einen psychisch kranken Mann erschossen - auf der Polizeiwache. Wann sie zur Waffe greifen dürfen, trainieren Polizisten zwar eingehend. Doch in kritischen Situationen entscheiden Sekundenbruchteile über Leben und Tod.

Von Susi Wimmer

Ein 73-jähriger Rentner, geistig verwirrt, betritt die Polizeiinspektion in Starnberg, in der Hand hält er ein Messer. Der Inspektionsleiter entscheidet, dem Mann die Türe zu einem Gang im Polizeigebäude zu öffnen. Dort geht der Verwirrte mit dem Messer auf die Beamten los, alle drei schießen, der Rentner stirbt.

Der Tod des Rentners vergangenen Freitag auf der Wache in Starnberg wirft etliche Fragen auf. Die internen Ermittler des Landeskriminalamtes haben ihre Arbeit aufgenommen. Sie versuchen, durch Zeugenbefragungen, Tatortauswertung, mit kriminaltechnischen Mitteln die Vorgänge an jenem Freitagnachmittag auf der Polizeiwache zu rekonstruieren.

Abgesehen vom direkten Tathergang tauchen aber auch andere Fragen auf: Wie sind die Polizisten ausgebildet? Was lernen sie in der Fortbildung? Wann darf ein Beamter schießen? Hätte es andere Möglichkeiten gegeben, die Situation zu lösen oder den Angreifer abzuwehren? Doch wer in diesen Tagen solche Fragen stellt, stößt bayernweit bei den Polizeipräsidien auf eine Mauer des Schweigens.

Nach dem Münchner Polizeiskandal in der Au, bei dem eine gefesselte Frau von einem Polizisten geschlagen wurde, will man im Innenministerium einen erneuten Skandal verhindern, sagen Insider.

"Auf jede erdenkliche Situation einstellen"

Wer zur Polizei will, der muss körperlich fit sein, so viel steht fest. Die Eignungsprüfung ist selbst für Trainierte nicht ohne, und auch in der folgenden zweieinhalbjährigen Ausbildung für den Mittleren Dienst spielt Sport eine große Rolle. Bislang mussten die Anwärter zwei Prüfungen in Selbstverteidigung bestehen und den gelben und orangen Gürtel ablegen. Zweimal pro Woche wird trainiert, vor den Prüfungen noch mehr.

Erst vor Kurzem wurde das Ausbildungsprogramm intensiviert: Die Gürtelprüfungen wurden abgeschafft, stattdessen wird nun nach einem Drei-Zonen-System trainiert: passiver Widerstand, körperlicher Angriff und Angriff mit einer Waffe. Zum Ende der Ausbildung legen die Anwärter eine Prüfung ab.

"Jeder Polizist wird im sicheren Umgang mit der Waffe geschult", sagt Oliver Platzer, Sprecher des Innenministeriums. Der Beamte sollte auch wissen, wie und wann man nicht schießt. "Es wird versucht, die Beamten auf jede erdenkliche Situation einzustellen." Polizisten im Streifendienst etwa müssen viermal im Jahr zum polizeilichen Einsatztraining antreten. Die Präsidien legen fest, ob die Polizisten 24 oder acht Stunden pro Jahr trainieren müssen. Zu letzterer Gruppe gehören Beamte, "die keinen Kontakt zur Bevölkerung haben", wie Platzer erklärt.

Zum polizeilichen Einsatztraining gehört auch die Kontrollübung im Schießen. Wer die nötige Punktezahl nicht erreicht, muss die Waffe abgeben. Im Einsatztraining werden diverse Gefahrensituationen simuliert, Techniken und Griffe geübt. Für einen Messerangriff wird beispielsweise trainiert, dem Angreifer die Waffe mittels eines Schlagstocks aus der Hand zu schlagen. Normalerweise tragen Streifenbeamte einen solchen am Einsatzgürtel.

"Ein Polizist muss immer das mildeste zur Verfügung stehende Mittel einsetzen", sagt der Münchner Strafverteidiger Markus G. Fischer. Bei einem unmittelbaren Angriff sollte er Warnschüsse abgeben, "in die Luft oder auf die Beine". Schüsse in lebensbedrohliche Regionen "sollten die Ultima Ratio sein", sagt der Jurist. Der 73-jährige Rentner soll nach Aussagen der Staatsanwaltschaft von sechs Projektilen getroffen worden sein: an Armen und Beinen, im Rumpf und am Kopf. "Ob der Kopfschuss durch Notwehr gerechtfertigt ist, wird sich herausstellen müssen", sagt Fischer.

Nach dem Polizeiaufgabengesetz ist ein Schuss, der tödlich sein kann, "nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist". Wenn die Streifenbeamten viermal im Jahr den Ernstfall proben, sind die Trainer angehalten, die Situationen so realistisch wie möglich zu gestalten. Mit Aggressoren, Dunkelheit, Enge, damit der Adrenalinspiegel des Probanden steigt, er unter Stress steht.

Allerdings: Es ist und bleibt nur ein simulierter Stress. Wie der Polizist dann in der Realität reagiert, ist nicht abzusehen. Ein Polizeibeamter erklärt das anhand eines Bildes: "Die Bewegungsabläufe sind einstudiert. Wie beim Autofahren auch: Gas geben, Bremsen, Kupplung treten." Und trotzdem passieren Unfälle. "Weil Menschen in Stresssituationen unterschiedlich reagieren." Der Ablauf beim Schießen etwa sei automatisiert, jedoch nicht, wann dieser Ablauf abgerufen wird. "Da sind Sekundenbruchteile überlebenswichtig", sagt der Polizist.

Mit der Frage, wie es überhaupt zu dieser Eskalation in Starnberg kommen konnte, werden sich auch die Ermittler beschäftigen müssen. In München etwa sind alle Polizeiinspektionen abgesperrt. Der Zutritt wird per Videoanlage überwacht, der Kunde muss klingeln. In Starnberg war die Tür geöffnet, was mit dem regen Parteiverkehr erklärt wird. Dann stand der Mann mit dem Messer in der Eingangsschleuse, die Polizisten auf der Wache riefen ihren Chef. Ein Kollege hätte über den Hof laufen und die Eingangstür von außen absperren können, so wäre der Rentner in der Schleuse gefangen gewesen. Stattdessen öffnete der Inspektionsleiter die Türe ins Polizeigebäude. Dann fielen die Schüsse.

© SZ vom 12.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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