Augsburg:Ein Aufstieg für das Selbstbewusstsein

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Der Erfolg des FC Augsburg hilft der von vielen Problemen gebeutelten Stadt aus dem langen Schatten Münchens zu treten - und die Fans singen schon: Zieht den Bayern die Lederhose aus.

Stefan Mayr

Die Stimmung auf dem Augsburger Rathausplatz erreichte am Sonntag um kurz nach 19 Uhr, vier Stunden nach Spielende, ihren Höhepunkt. Die Profi-Fußballer des FC Augsburg zeigten sich (mehr oder weniger) spontan am Fenster eines städtischen Verwaltungsgebäudes.

Der sportliche Erfolg und seine Nebenwirkungen: Das fußballerische Können von Ibrahima Traoré und Moritz Leitner erweitert in Augsburg unüberhörbar sowohl das Liedgut als auch das Selbstbewusstsein. (Foto: dpa)

Die Fans auf dem bestens gefüllten Platz sangen und tanzten und filmten und fotografierten nach oben. Und die Kicker sangen und tanzten und filmten und fotografierten nach unten.

Und alle Anwesenden, die Nassgespritzten und die Trockengebliebenen, die Heiseren und die Komplett-Stimmlosen waren sich einig: So eine ausgelassene Großparty gab es noch nie in der Stadt. Die WM-Feier 1990 und das Sommermärchen 2006 waren im Vergleich dazu ein zweitklassiges Kaffeekränzchen. Dabei hat der Satz "Augsburg ist in der Fußball-Bundesliga" durchaus etwas märchenhaftes, so weit weg und unrealistisch klang dieser noch bis vor Kurzem. Augsburg spielt in der Republik - ach was: in der Welt - wieder ganz oben mit, wann hat es das seit Jakob Fugger dem Reichen wieder gegeben?

Nun, den ersten Bundesliga-Rekord hat Augsburg bereits gebrochen: Die 2026-Jährige ist die älteste Bundesligastadt aller Zeiten. In diesem Zusammenhang muss an dieser Stelle in aller Sachlichkeit an folgendes erinnert werden: Dass München überhaupt gegründet werden durfte, wurde am 14. Juni 1158 auf dem Reichstag zu Augsburg beschlossen. Kaiser Friedrich I. Barbarossa unterzeichnete damals am Lech den "Augsburger Schied", quasi die Gründungsurkunde der heutigen Landeshauptstadt. Wo heute die Staatsregierung und der FC Bayern München residieren, gab es seinerzeit nur eine Brücke über die Isar. Barbarossa erteilte mit seiner Unterschrift Herzog Heinrich dem Löwen das Recht, die Zollbrücke bei den Mönchen ("ad Munichen") zu betreiben - und damit vom Salzhandel zu profitieren, der in Augsburg ein Zentrum hatte.

Heute sind in Augsburg von dem Glanz früherer Zeiten nur noch Relikte respektive Ruinen übriggeblieben. Na gut, das Rathaus steht prächtig da und ist eigentlich eine perfekte Kulisse für Aufstiegs- und Meisterfeiern. Doch zur Sanierung vieler anderer Gebäude fehlt der Stadt das Geld. Und das Verhältnis zu München hat sich von der einstigen Überlegenheit in einen tief wurzelnden Minderwertigkeitskomplex gewandelt. Einst betrieb Jakob Fugger von hier aus ein weltumspannendes Netz von Geschäften und Kontakten und gab nebenher den Kaisermacher. Heute ist Augsburg nur noch eines von vielen Anhängseln der Metropolregion "Greater Munich". Während in München über Olympia 2018 und die zweite S-Bahn-Stammstrecke für zwei Milliarden Euro diskutiert wird, wartet Schwabens Kapitale und Bayerns drittgrößte Stadt schon ziemlich lange auf die nötigen Millionen, um wenigstens ein einigermaßen funktionierendes S-Bahn-Netz etablieren zu können.

Die Industriestadt leidet bis heute unter den Nachwirkungen des Zusammenbruchs der Textilindustrie. Arbeitslosigkeit und Migrantenanteil sind hoch, die Quote der hochqualifizierten Arbeitsplätze ist niedrig. Und die Fußballer konnten diesen Abstieg von der ehemals freien Reichsstadt zum Armenhaus nie vergessen machen. Mehr als 20 Jahre kickten sie in der Amateurliga, noch nie waren sie in der Bundesliga. Ein Eishockey-Erstligist ist da nur - sorry, liebe Panther - ein schwacher Trost. Dabei ist es ja nicht so, dass die Augsburger nicht fußballspielen könnten. Im Gegenteil: Lange Zeit galt die Stadt als Deutschlands Talentschmiede Nummer eins. Doch die besten Männer wurden von den reichen Klubs stets weggekauft: Haller, Schuster, Riedle, Aumann, Grahammer - um nur mal die Nationalspieler zu nennen.

Doch jetzt ist der große Sprung vollbracht. Raus aus dem Schatten der Münchner und Nürnberger und Stuttgarter. "Ich glaube, das gibt uns einen richtigen Schub für das Image nach außen, aber auch für das Selbstbewusstsein nach innen", sagt OB Kurt Gribl (CSU).

Augsburg und das Selbstbewusstsein, ein großes und schwieriges Thema. Nach so langer Zeit im Schatten der großen Landeshauptstadt brauchen die empfindlichen Pflänzchen Selbstvertrauen und Euphorie viel Zeit, um zu gedeihen. Wer sich immer nur zweitklassig und provinziell fühlt, der tut sich schwer, einfach mal loszujubeln und in die Welt zu schreien: "Wir sind ganz oben!" Vielleicht dauerte es deshalb so lange, bis der FCA-Siegeszug große Euphorie auslöste. Als der Triumph perfekt war, standen sie am Sonntagabend in den Bierzelten des Plärrer-Volksfestes auf den Tischen, und selbst zu später Stunde, als die Sonne schon untergegangen war und ein kalter Wind durch die Gassen pfiff, sangen sie noch: "Nie mehr zweite Liga!"

Doch gleichzeitig prophezeiten die Ersten schon wieder, dass der sofortige Wiederabstieg unvermeidbar sei. Dass der jetzt so gefeierte Trainer ganz schnell gefeuert werde, sobald die erste Niederlagenserie läuft. Und dass die Fans ganz schnell wegbleiben würden, weil sie für den Abstiegskampf kein Geld ausgeben. So sind sie, der Augsburger und seine Mentalität: Er traut sich und seinesgleichen eher wenig zu. Eine selbsterfüllende Prophezeiung. Um diesen Teufelskreis mit einem knackigen Bundesliga-Aufstieg zu durchbrechen, mussten Fremde in die Stadt geholt werden: Trainer Jos Luhukay ist Niederländer, Manager Andreas Rettig und Präsident Walther Seinsch sind Rheinländer.

Letzterer ist der eigentliche Vater des Erfolges. Der Mann ohne Schulabschluss arbeitete sich einst vom Lehrling bei Kaufhof zum Mitinhaber der Textilmarkt-Ketten Takko und KiK empor. Dann verkaufte er seine Anteile, stieg im Jahr 2000 beim maroden FCA ein und führte ihn von der Viertklassigkeit nach ganz oben. Der Selfmade-Millionär trägt sowohl bei Jahreshauptversammlungen als auch im Stadion stets ein Spielertrikot, und zur Arbeit auf der Geschäftsstelle nimmt er sich mitunter belegte Brote mit.

Man kann das Bodenständigkeit nennen, doch im Verfolgen seiner Ziele gibt sich Seinsch alles andere als bescheiden. Er hat nicht nur mehrere Millionen aus eigener Tasche eingebracht, sondern auch seinen knallharten Sinn fürs Geschäft. So hat er auch den Steuerzahler kräftigst gemolken: Für den Stadion-Neubau leierte er dem Freistaat fünf Millionen Euro Zuschuss und 15 Millionen Euro Bürgschaft aus dem Rücken, so viel Unterstützung gab es danach nie mehr für eine Profi-Spielstätte.

Die Stadt stellte das Grundstück zur Verfügung und investierte 14 Millionen Euro in die Infrastruktur. Laut Baugenehmigung müsste die Arena längst auch eine ästhetisch ansprechende Fassade haben. Doch bis heute steht nur ein graues Gerippe da. Aber OB Gribl und seiner Stadtführung ist das egal. Schließlich ist der Bundesliga-Aufstieg ein perfektes Ablenkungsmanöver, das die Pannen seiner bisherigen Amtszeit vergessen lässt. Jetzt sind in Augsburg alle erst einmal Aufsteiger und haben sich sehr lieb.

Zuletzt hat die Stadt 3,6 Millionen Euro ausgegeben, um 2011 die Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft in die Stadt zu holen und für zwei Wochen ein bisschen überregionale Medienpräsenz zu erhaschen. Das Geld hätte sie sich aus heutiger Sicht sparen können und in die maroden Schulen stecken können. Denn durch den FCA erscheint der Name der Stadt fortan allwöchentlich in vielen Fernsehsendern und Tageszeitungen in aller Welt. Mehr Präsenz als durch die German Bundesliga geht kaum.

Das weiß auch Peter Saalfrank, der Hauptgeschäftsführer der IHK Augsburg: "Dieser Aufstieg verleiht Augsburg und Schwaben überregionale Strahlkraft. Der FCA ist jetzt einer der, wenn nicht der wichtigste Imageträger für die Region."Die Augsburger Allgemeine veröffentlichte am Montag eine 24-seitige Sonderbeilage und jubelte: "Augsburg ist nicht länger nur Puppenkiste, Brecht und eine große Vergangenheit." Höhepunkt der Aufstiegsfeier war der Auftritt des Torjägers Michael Thurk auf dem Rathausplatz. Mit dem Megaphon stimmte er ein Lied an, das sie in Augsburg lange nicht mehr zu singen gewagt hatten: "Zieht den Bayern die Lederhosen aus."

© SZ vom 10.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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