Archivtag in Coburg:Das Gedächtnis der Zukunft

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Bayerns Archive sind mitten im Umbruch: Sie müssen ihre umfangreichen Bestände ins digitale Zeitalter übertragen. Dafür brauchen sie Geld und geschultes Personal

Von Hans Kratzer, Coburg

Zehntausende Aufnahmen aus seiner langen Schaffensperiode hat der Fotoreporter Heinz Gebhardt zuletzt dem Stadtarchiv München übergeben. Bilder, die das Münchner Stadtleben seit den Sechzigerjahren unnachahmlich dokumentieren - sie zeigen Kurioses, Kriminalfälle, Katastrophen, aber auch das pralle Leben des Oktoberfests und der Schickeria. Durch laufende Zuwächse wie diesem dürfte der Umfang der Fotosammlung des Stadtarchivs mittlerweile auf zwei Millionen Bilder angewachsen sein, schätzt der Leiter des Stadtarchivs, Michael Stephan. Ein kostbarer Schatz, der langfristig im Netz zugänglich gemacht werden soll. Nicht zuletzt sollen die Betrachter auf diese Weise mit einbezogen werden, wenn es unbekannte Bildinhalte zu identifizieren gilt.

Allein dieses Beispiel zeigt, welches Potenzial in dem in den Archiven verwahrten Kulturgut steckt. In Bayern gibt es acht staatliche Archive, die zurzeit gut 45 Millionen Archivalien verwalten. Aneinander gereiht erstreckte sich diese Masse Papier auf eine Länge von 240 Kilometer. Überdies gibt es im Freistaat noch gut tausend öffentliche und private Archive mit einer weiteren Millionenmasse an Akten, Bildern, Plänen und so fort. Diese Hinterlassenschaften bedürfen einer behutsamen Pflege, will man Nutzen daraus ziehen. Das Klischee vom verstaubten, in einem Keller vor sich hinbrütenden Archivar hält sich zwar eisern, aber es gilt schon lange nicht mehr. Die Archive haben sich zu effizienten Behörden und Dienstleistern weiterentwickelt, in denen der Fortschritt wie überall einen Segen, aber auch Probleme mit sich bringt.

In den acht bayerischen Staatsarchiven lagern mehr als 45 Millionen Archivalien - darunter sind etwa 1000 Urkunden und 4500 Amtsbücher der fränkischen Fürstenfamilie Schwarzenberg im Nürnberger Archiv. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

An diesem Freitag und Samstag findet in Coburg der 11. Bayerische Archivtag statt, bei dem gut 200 bayerische Archivarinnen und Archivare nach Antworten auf drängende Fragen suchen wollen. Ihre Häuser stecken mitten in Jahrhundertaufgaben. Allein die elektronische Aktenführung in den staatlichen Behörden, deren Schriftgut später von Archiven übernommen wird, sowie die ständige Änderung der Speichertechnik verlangen hochkomplexe Lösungen. Außerdem geht es beim Archivtag um den Ausbau der Kooperation von Archiven, Forschung und Wissenschaft.

In Coburg wird auch über das sogenannte Kulturhackathon "Coding da Vinci" diskutiert werden. Dieses neue Phänomen, das die Kultur- und Technikwelt miteinander vernetzt, strebt nach offen zugänglichen Kulturdaten, um aus ihnen überraschende Anwendungen, Apps, Dienste, Spiele und Visualisierungen zu erstellen. Auch Archivgut könnte auf diese Weise neue Verwendungen finden. Dazu müssten Archive Daten an "Coding da Vinci" liefern, also eigene Archivalien zur uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung stellen. Allerdings muss dafür eine rechtliche Grundlage vorhanden sein, was eine rasche Öffnung der Archive in diese Richtung hemmt. Einen Vorgeschmack ermöglicht die Münchner Monacensia, die für ein solches Projekt eine rechtefreie Speisekartensammlung zur Verfügung stellt. Außerdem wird es in Coburg um die Frage gehen, wie Programme künftig alte Handschriften selbständig erkennen und lesen werden. Die Entzifferung ist eine für den Menschen oft mühsame Aufgabe, für die es bislang einer eigenen Disziplin, den historischen Hilfswissenschaften, bedarf.

Margit Ksoll-Marcon ist die Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns. (Foto: Florian Peljak)

Jede neue Technik erfordert speziell geschultes Personal. Um zukunftsfähig zu sein, müssen dringend Schnittstellen zwischen der digitalen Aktenführung der Behörden und der digitalen Langzeitarchivierung der Archive geschaffen werden, sagt Archivleiter Michael Stephan. Viele Archive sind jedoch finanziell unterversorgt und personell unterbesetzt. Defizite dieser Art verzeichnete lange Zeit auch das Augsburger Stadtarchiv, das nun einen großen Sprung nach vorne gemacht hat. Der Augsburger OB Kurt Gribl wird deshalb beim Archivtag mit dem Archivpreis "Bayerischer Janus" ausgezeichnet. Seinem Engagement verdanke das Stadtarchiv Augsburg die Unterbringung in einem neuen, modernen Archivgebäude sowie eine angemessene Ausstattung mit Personal und Sachmitteln, sagt Margit Ksoll-Marcon, die Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns. Das neue Domizil befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Kammgarnspinnerei. Im alten, viel zu engen Stadtarchiv gab es bereits einen massiven Käferbefall. "Es war höchste Zeit, einen Neubau zu realisieren", sagt Ksoll-Marcon, die überglücklich über diese "ganz herausragende Lösung" ist. Dadurch wurde es auch möglich, die Personalstellen von zehn auf 30 zu erhöhen. Immerhin zählt das Stadtarchiv Augsburg zu den bedeutendsten Kommunalarchiven nördlich der Alpen. Ksoll-Marcon hofft, dass das Engagement der Augsburger eine Vorbildwirkung für andere Kommunen entfalten möge.

© SZ vom 21.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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