Architektur:Schuhschachtel des 21. Jahrhunderts

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Der neue Konzertsaal in Nürnberg soll an einer vierspurigen Straße neben der Meistersingerhalle entstehen. Ein Standort, der bei Kulturbegeisterten auf wenig Gegenliebe stößt. Baureferent Daniel Ulrich widerspricht heftig und zählt ausschließlich Vorteile auf

Interview Von Olaf Przybilla

Auf dem Gipfel der Münchner Konzertsaaldebatte hat Ministerpräsident Horst Seehofer auch der Stadt Nürnberg einen Konzertsaal versprochen, sozusagen als Ausgleich. Inzwischen hat sich die Stadt für einen Standort entschieden, der allerdings nicht ausschließlich auf Begeisterung stößt: im Süden Nürnbergs, direkt an einer Ausfallstraße gelegen. Warum ausgerechnet dort? Baureferent Daniel Ulrich stellt sich den Fragen.

SZ: Herr Ulrich, zunächst einmal: Warum überhaupt ein neuer Konzertsaal?

Daniel Ulrich: Die Debatte reicht lang zurück. Nürnberg hat ein schönes, aber auch renovierungsbedürftiges Opernhaus. Dafür brauchen wir eine Interimsspielstätte. Als diese Debatte bereits im Gange war, kam parallel der Freistaat Bayern und sagte: Wir schenken euch einen neuen Konzertsaal.

Für diesen wiederum haben Sie dann Gutachten in Auftrag gegeben.

Insgesamt zwei, ja. Mit dem Ergebnis: Der Saal soll 1500 Sitzplätze haben und er sollte in einem Verbund mit einer Einrichtung sein, die Kongresse von mittlerer Größe anbieten kann. Als der ideale Standort kristallisierte sich die Meistersingerhalle heraus: im Herzen der Südstadt gelegen, am Rande eines wunderschönen Parks. Dort kann man die betrieblichen Vorteile der Meistersingerhalle und die neuen Strukturen des neues Saals zusammenbringen.

Der geplante Bau liegt an einer Ausfallstraße. (Foto: Stadt Nürnberg)

Warum kommt die Kultur nicht mitten ins Zentrum? Der Augustinerhof, im Herzen der Altstadt gelegen, war lange frei.

Das läge mittendrin ja, hatte aber den Nachteil, dass es da keine Synergien gegeben hätte. Es gibt dort eben keine kulturellen Einrichtungen, an die man hätte andocken können. Und dann das Parkplatzproblem. Es sollen dort ja auch Kongresse stattfinden, ebenfalls mit autoaffinem Publikum.

Autoaffinem Publikum?

Die Metropolregion Nürnberg hat nun mal ein großes Einzugsgebiet. Und Menschen aus Westmittelfranken und der Oberpfalz können nicht auf ein so hervorragendes S-Bahn-Netz zurückgreifen wie die im bayerischen Oberland. Also werden viele immer wieder mit dem Auto kommen. Das wäre im Zentrum eine Belastung geworden.

Und das wäre nicht zu bewerkstelligen gewesen mit neuen Stellplätzen?

Ein neues Parkhaus zu bauen, ist nicht vermittelbar in so einer wertvollen Lage und eine neue Tiefgarage ist unheimlich teuer. Ungut auch: Gerade abends locke ich noch mal viele Autofahrer in die Altstadt rein. Aber noch mal, das Hauptargument ist: Eine Konzerthalle als Solitär muss bewirtschaftet werden. Eigens dafür eine autonome Struktur aufzubauen, das ist schwierig.

Der parteilose Daniel Ulrich, 44, ist seit 2013 Baureferent von Nürnberg. In Kassel studierte er Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung. 2012 übernahm er die Leitung der städtischen Bauordnungsbehörde. (Foto: Christine Dierenbach)

Warum nicht ins leer stehende Quelle-Gelände? Mit großer Geschichte und reizvoller Lage zwischen Fürth und Nürnberg.

Ja, das wäre ein toller Standort gewesen, in Süddeutschlands größtem leer stehenden Baudenkmal. Der große Haken: Das Gebäude gehört nicht uns, sondern einem privaten Investor, der seit Jahren an seinem Konzept arbeitet. Das wäre riskant gewesen.

Es war ein Fehler, Quelle nicht zu kaufen?

Ich war 2009 noch nicht im Amt. Aus heutiger Sicht wäre es wohl sehr schlau gewesen, das Areal zu kaufen, ja. Wobei so ein Ankauf sehr kompliziert gewesen wäre.

Also direkt neben die Meistersingerhalle. Dass jetzt westlich davon, eingezwängt zwischen Halle und einer vierspurigen Trasse, gebaut wird, hat viele überrascht.

Klar hatten viele damit gerechnet, dass auf dem großen Parkplatz östlich der Halle gebaut wird. Dort aber hätte man auch eine extrem teure Tiefgarage bauen müssen, zumal unterm Platz schnell der Fels kommt.

Und im Süden der Halle, im Luitpoldhain?

Das ist nur auf den ersten Blick reizvoll. Besucher würden höchstens im Foyer in den Park schauen. Dafür ist einfach der Schaden zu groß, in so einen Park reinzubauen.

Westlich der Meistersingerhalle soll der neue Saal entstehen. (Foto: Stadt Nürnberg)

Also neben die Münchner Straße, eine Ausfallstraße. Ist das akustisch keine Gefahr?

Nein, absolut nicht. Auch Lastkraftwagen werden da kein Problem sein. Da hat man zu sehr die alte Oper im Kopf. Die hat aber auch Fenster von vor 100 Jahren. Das Areal an der Münchner Straße ist die eleganteste Lösung, auch als städtebauliches Eingangssignal: Ab hier beginnt die dicht bebaute Stadt. 60 mal 90 Meter ist das zur Verfügung stehende Baufeld, das passt perfekt.

Trotzdem: Das dürfte einer der unwirtlichsten Plätze der Stadt sein. Ringsherum drei Hochhäuser, eines davon die Bundesanstalt für Arbeit, und viel Tristesse.

Das so zu sehen, hielte ich für ungerecht. Da schließt sich unmittelbar ein sehr hochwertiger Park an. Und der Begriff unwirtlich ist auch der Südstadt gegenüber ungerecht. Da wohnen 70 000 Menschen außenrum, das ist ein Brennpunkt der Stadtentwicklung. Die Südstadt mag mitunter ein Imageproblem haben. Aber wer da abends flaniert, der stellt fest: Es ist heute schon gar nicht so schlecht. Und mit dem Konzertsaal wird es noch attraktiver werden.

Ein Vorbild für das Projekt ist der Saal des Dortmunder Konzerthauses. (Foto: dpa-SZ)

Macht man sich da nichts vor? Konzert-Besucher wollen Restaurants und Cafés, sobald sie aus dem Saal kommen.

Es gibt jetzt schon ein Hotel mit Restaurant dort. Und wenn die Nachfrage nach Gastronomie steigt, wird sich auch die schon bestehende Gastronomie anpassen.

Die Begeisterung hält sich trotzdem in Grenzen. In der örtlichen Presse wurde sogar der Vorwurf laut, Sie verfolgten ein Konzept des 19. Jahrhunderts.

Das hat mich etwas geärgert. Ein multifunktionaler Konzertsaal, der auch für Unterhaltungsmusik dient und an ein Kongresszentrum angegliedert ist, das ist 21. Jahrhundert. 19. Jahrhundert wäre, den Saal genau ins Zentrum zu bauen: Der Rest der Stadt bezahlt, die Altstadt profitiert.

Soll es ein Schuhschachtel-Saal werden oder einer in Form eines Weinbergs?

Es wird eine Schuhschachtel, wie bei den meisten neuen Sälen in Europa auch. Für einen multifunktionellen Saal ist die Akustik in der Schuhschachtel einfach sehr sicher in den Griff zu kriegen. Porto, Dortmund, Luzern, das sind die Vorbilder.

Wann ist der erste Spatenstich?

2020, im optimistischsten Fall. Im Idealfall sind wir mit dem Saal im Jahr 2023 fertig. Danach wird die Meistersingerhalle als Interimsspielstätte für die Oper ertüchtigt. Und währenddessen wird die Oper saniert.

Reichen denn für den Saal die vom Freistaat zugesagten 75 Millionen Euro?

Nein, das wird nicht gehen. Aber eines ist auch klar: Von der Stadt kommt ganz sicher nicht noch mal so viel oben drauf.

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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