Amoklauf in Ansbach:Die Sehnsucht nach Normalität

Lesezeit: 3 min

An diesem Freitag vor einem Jahr versuchte Georg R. Schüler und Lehrer eines Ansbacher Gymnasiums zu töten. Ein Abiturient und zwei Krisenhelfer erzählen, wie sie das Jahr nach dem Amoklauf erlebt haben.

Dietrich Mittler und Olaf Przybilla

Vor einem Jahr verübte der Kollegiat Georg R. einen Anschlag auf seine Schule, das Gymnasium Carolinum in Ansbach. Mit einem Beil und Brandsätzen bewaffnet verletzte er mehrere Schüler schwer. Drei Ansbacher erzählen, wie sie den Tag erlebt haben und wie sie mit ihren Erfahrungen umgehen.

Das Gymnasium Carolinum in Ansbach. Die Schüler sehnen sich ein Jahr nach dem Amoklauf vor allem nach Normalität.   (Foto: dpa)

Der Kollegiat Johannes Knoblach hielt sich in der Cafeteria der Schule auf, als er schreiende Schüler hörte. Knoblach alarmierte die Polizei, dann rannte er vom Erdgeschoss in den dritten Stock und löschte brennende Möbel. Für seinen Einsatz ist Knoblach vom Innenminister und vom Landesfeuerwehrverband ausgezeichnet worden. Im Frühjahr hat Knoblach Abitur gemacht. Der Täter Georg R. war sein Mitschüler, eigentlich hätte man gemeinsam den Abschluss machen sollen.

Viele Mitschüler, sagt Knoblach heute, hatten "Angst, dass sich die Folgen des Amoklaufs negativ auf das Abitur auswirken könnten", der psychischen Belastung wegen. Zumal der Prozess gegen R. in die Zeit der Prüfungsvorbereitung fiel. Dann aber hätten die Kollegiaten etwas geschafft, was kaum einer für möglich gehalten hatte. Natürlich, sagt Knoblach, wird eine Abi-Note zur Nichtigkeit, vergleicht man ihre Bedeutung mit dem, was passiert ist. Und doch habe man sich gemeinsam gefreut darüber, "dass unser Jahrgang überdurchschnittlich gut abgeschnitten hat". Nicht so sehr der Note wegen - eher deshalb, weil das Ergebnis für etwas stehe, wonach sich alle sehnen in Ansbach: Normalität.

Derzeit macht Knoblach ein Praktikum beim Radiosender Antenne Bayern. Er mache keinen Hehl daraus, sagt Knoblach, dass viele Schüler des Carolinums sehr negativ zu sprechen waren auf jene Reporter, die tagelang die Schule belagerten und das Wohnhaus, in dem der Täter mit seiner Familie gelebt hatte. An seinem Berufswunsch aber - Journalist - hat diese Erfahrung nichts geändert. Im Gegenteil: Schließlich, sagt Knoblach, könne er nun ein Journalist werden, der "in der Redaktion warnen" könne vor Grenzüberschreitungen von Reportern.

Als der Notruf einging, war Stadtbrandrat Horst Settler ein paar hundert Meter weit vom Gymnasium entfernt. Er rannte zum Tatort, sah Qualm aufsteigen und koordinierte dann die Arbeit von mehreren hundert Einsatzkräften. Seine Erfahrungen hat Settler für einen Diavortrag zusammengefasst, er ist viel unterwegs seither. Es gebe keinen Plan, nach dem man vorgehen müsse, sagt er. Der Einsatz von Ansbach gilt als vorbildlich, aber eines müsse er den Kollegen vor Augen führen: Dass am Ende kein Mensch sterben musste, das sei auch Glück gewesen - "so komisch sich das anhört in dem Zusammenhang".

"Ich schaffe mir kleine Oasen"

Als er die Schüler aus der Gebäude kommen sah - manche im Schock gelähmt, manche noch Scherze machend -, habe er intuitiv handeln müssen. Trotzdem kann er nun von Erfahrungen berichten, die Kollegen helfen können: Etwa davon, wie viele Einsatzkräfte es braucht, um besorgte Angehörige dorthin zu bringen, wo sie sich gegenseitig beistehen können. Es gibt ein Foto, auf dem ein Feuerwehrmann ein Elternpaar an der Hand nimmt, um es zu ihrem Kind zu bringen. In Settlers Vorträgen ist es eines der wichtigsten Dokumente.

Hauptschullehrer Johannes Stegmann war im Unterricht, als sein Handy klingelte. Minuten später fuhr der heute 31-Jährige als Kreisbereitschaftsleiter des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) zum Tatort. "Das BRK ist nach wie vor meine absolute Leidenschaft", sagt er. Seit einiger Zeit lebt Stegmann "wieder in einer festen und sehr glücklichen Partnerschaft". Die neue Frau in seinem Leben hat viel Verständnis dafür, dass er ständig ehrenamtlich unterwegs ist - sie ist selbst beim BRK aktiv. Das Berufsleben, so erzählt Stegmann, ging für alle am Einsatz beteiligten Helfer ganz normal weiter.

"Mir selber ist es allerdings etwas schwergefallen, denn ich hatte am selben Tag noch Elternabend, zu dem ich in Einsatzkleidung gefahren bin", sagt er. Die Nachricht vom Amoklauf hatte sich herumgesprochen, die Eltern fragten ihn: "Wie können wir unsere Kinder vor so etwas schützen?" Als Lehrer hat sich Stegmann, wie er sagt, kaum verändert: "Sobald ich merke, dass ein Kind nicht mehr viel redet, zum Einzelgänger werden könnte, suche ich das Gespräch."

Nach dem Amoklauf hat er intensiv über sein Privatleben nachgedacht: "Nachdem ich weiß, wie schnell man in eine ganz schlimme Situation kommen kann, schaffe ich mir kleine Oasen", sagt er. Seitdem nimmt er sich auch mal Zeit zum Wandern oder für ein gutes Buch - wenn nicht gerade das BRK ruft.

© SZ vom 17.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: