Altlast:Von der Munitionsanstalt zum Industriegebiet

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In Bamberg soll eine Militärbrache bebaut werden, dagegen regt sich Widerstand. Schon früher bemühte sich die Stadt um das Gelände - mit anderen Motiven

Von Claudia Henzler, Bamberg

Die ehemalige Munitionsanstalt in Bamberg ist eine Militärbrache und nicht ungefährlich. Deshalb ist das Areal auch nach Abzug der US-Streitkräfte noch immer eingezäunt und für die Öffentlichkeit gesperrt. Die Stadt Bamberg würde es gerne kaufen, dekontaminieren und in ein Gewerbegebiet umwandeln, stößt dabei aber auf Widerstand bei den Bürgern. Ob die Stadt ein Gewerbegebiet schaffen darf, wird ein Bürgerentscheid am Sonntag zeigen. Ironie der Geschichte: Nach dem Ersten Weltkrieg hat die Stadt genau das schon einmal getan - damals allerdings mit unlauteren Hintergedanken. Mit dem Kauf und der Einrichtung eines "Industriehofs" sollten die Abrüstungsbestimmungen im Versailler Friedensvertrag unterlaufen werden.

Die militärische Anlage wurde im Ersten Weltkrieg auf Befehl von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg geschaffen und in der NS-Zeit als "Heeres-Munitionsanstalt" noch einmal erheblich vergrößert. Hindenburg hatte im dritten Kriegsjahr das Ziel ausgegeben, die Munitionsfertigung des Reiches zu verdoppeln. Deshalb wurden von März 1917 an innerhalb weniger Monate mehr als 50 Gebäude aus dem Boden eines 63 Hektar großen Waldstücks gestampft und Schienen vom Bamberger Hauptbahnhof in den Südosten der Stadt verlegt. Das Artilleriedepot war eines von insgesamt 86 im Reich, beschäftigte bis zu tausend Arbeiter, vor allem Frauen und Kriegsversehrte, und lieferte im Januar 1918 die erste Zugladung mit Munition für Feldkanonen.

Viele der Gebäude auf dem fast 140 Hektar großen Areal im Südosten Bambergs stehen seit Jahrzehnten leer und verfallen langsam. (Foto: Henz)

Johannes Preuß, Professor am Geographischen Institut der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, hat die Geschichte des Areals im Auftrag von Stadt und Bund ausführlich untersucht und im vergangenen Jahr eine Dokumentation vorgelegt. Sie dient vor allem dazu, Art und Umfang der Kontaminierung einzuschätzen, liefert aber darüber hinaus interessante Einblicke. Nach seinen Recherchen haben das Bamberger Depot bis zum Waffenstillstand im November 1918 gut 1,6 Millionen Stück Munition verlassen. Aufgabe der Arbeiter war es, aus angelieferten Einzelteilen fertige Munition herzustellen, also Granatenhülsen, Sprengstoff, Zünder und Ladung zusammenzubauen, die fertige Munition zu beschriften und zu verpacken.

Nach Kriegsende lief es dann umgekehrt, da mussten in Bamberg mehrere Hunderttausend Granaten in ihre Einzelteile zerlegt werden. Als nach dem Friedensvertrag vom 28. Juni 1919 der vollständige Zwangsabriss drohte, bemühte sich schließlich die Stadt um das Gelände und errichtete dort einen "Industriehof". Der war aber nur als Zwischennutzung gedacht. Die Stadt vermietete zwar einige Gebäude an Handwerker und Gewerbetreibende, doch deren Verträge hatten extrem kurze Laufzeiten. Manche mussten außerdem versichern, ihre Gebäude bei Bedarf innerhalb von drei Tagen zu räumen. Denn tatsächlich übernahm die Stadt Bamberg die Liegenschaft, um das Depot zu erhalten. "Die möglichst beschleunigte Überführung des ganzen Komplexes samt Gebäulichkeiten in Privatbesitz halten wir als eine dringendste, im Interesse des Reiches selbst gelegene unabweisbare Notwendigkeit, es werden sich die Reichsstellen der Einsicht nicht verschließen können, dass es Pflicht der Reichsregierung ist, diese aus dem Volksvermögen geschaffene Anlage aus nationalen und militärischen Gründen zu erhalten." So heißt es in einem Schreiben des Stadtrates an das Reichswehrministerium vom Dezember 1921, auf das Preuß gestoßen ist. Konsequenterweise wurde der Kaufvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Stadt durch einen geheimen Treuhandvertrag ergänzt. Darin erkennt die Stadt an, dass aus der Eintragung im Grundbuch keine Eigentumsrechte entstehen. Und damit nicht genug. Auch mit der Bayerischen Reichswehr schloss die Stadt einen Geheimvertrag ab, der dem Wehrkreiskommando mehrere Gebäude zusprach. Dort hat laut Preuß eine militärische Gruppe, die als "Schwarze Reichswehr" bezeichnet wurde, in den Zwanzigerjahren Munition hergestellt.

Unter den gewerblichen Mietern findet sich neben einem Kupferschmiedemeister und kleinen Fabriken für Schuhe und Möbel auch ein sehr prominenter Name: Der Flugzeugbauer Wilhelm Messerschmitt, dessen Eltern in Bamberg eine Weinhandlung mit Weinstube betrieben, mietete 1925 und 1926 zwei 420 Quadratmeter große Hallen für seine Firma "Flugzeugbau Messerschmitt, Bamberg" an, die er nach seinem Ingenieurstudium gegründet hatte. Was er dort genau tat, ist wenig erforscht, schon 1927 verlegte er den Firmensitz nach Augsburg, wo die später bekannten Flugzeugtypen entstanden. Sollte die Stadt das Areal kaufen, will sie sich dafür einsetzen, dass die beiden Messerschmitthallen, anders als die übrigen Fabrikationsgebäude, erhalten bleiben.

1933 war das Intermezzo beendet: Das NS-Regime verlangte das Areal zurück und bereitete auch von dort aus den Zweiten Weltkrieg vor.

© SZ vom 16.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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