Abenteurer aus Bayern:Bayerische Langnase mit holländischem Pass

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Philipp Franz von Siebold (mit grüner Mütze) auf einem Gemälde von Kawahara Keiga mit Ehefrau Sonogi Otaki Kusomoto und Tochter Ine. (Foto: visipix)

Philipp Franz von Siebold verliebte sich in die Schönheit und Exotik Japans. Den Arzt und Botaniker aus Würzburg kennt dort noch heute jedes Schulkind.

Von Ingrid Brunner

Er zählt zu den 100 Japanern, die man kennen muss, jedes japanische Kind kennt ihn, denn sein Leben und Wirken ist Pflichtstoff an japanischen Schulen. In Deutschland hingegen kennt ihn kaum jemand. Dabei ist der Arzt und Botaniker Philipp Franz von Siebold, geboren 1796 in Würzburg, in Japan bekannt als der Deutsche, der im noch streng abgeriegelten Land die westliche Medizin einführte und mithalf, das Land zu modernisieren.

Im August 1823 segelte Siebold im Alter 27 Jahren auf der Onderneming in die Bucht von Nagasaki und war sofort fasziniert von der Schönheit des Landes. Begeistert notierte er in seinem Tagebuch: "Welch einladende Ufer mit ihren freundlichen Wohnungen, welch fruchtbare Tempelhaine! Diese lebhaft grünen Berggipfel, wie malerisch erschienen sie in ihrer vulkanischen Gestaltung. Mit welcher Üppigkeit ragen an den Abhängen immergrüne Eichen, Zedern und Lorbeerbäume empor!" Zielhafen war Dejima, der Handelsstützpunkt der Niederländischen Ostindien-Kompagnie. Dejima, eine fächerförmig aufgeschüttete künstliche Insel, war über eine streng bewachte Brücke mit dem Festland verbunden. Ausländern war es seinerzeit verboten, Japan zu betreten. Allein die Holländer genossen das Privileg, auf Dejima Handel treiben und wohnen zu dürfen.

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"Deshalb kam der Bayer Siebold als Holländer, mit holländischem Pass", erklärt die Japanologin Andrea Hirner. Sie hat sich intensiv mit Siebold beschäftigt. Ihr Roman "Die blaue und die rote Seite des Lebens" erzählt Siebolds Leben in einer Mischung aus Fakten und Fiktion. Er war also eine Art Agent der Niederländer. Und damit seine Tarnung nicht aufflog, musste Siebold mit den Japanern Holländisch sprechen. Sein Auftrag war es, im Rang eines Stabsarztes japanische Patienten zu behandeln und nebenher ein wenig für die Holländer zu spionieren. Als Arzt war Siebold den Japanern hochwillkommen.

Schon bald scharte er nicht nur viele Patienten, sondern auch japanische Schüler um sich. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit war die Geburtshilfe, er machte auch Staroperationen und führte Pockenschutzimpfungen durch. "Ich habe die Vakzine zuerst auf Japan eingeführt", schreibt er stolz 1823 in einem Brief nach Europa - und unterschlägt dabei, dass bei den ersten Impfungen Menschen starben, weil die Vakzine mangelhaft waren. Bescheidenheit sei seine Sache nicht gewesen, erzählt Udo Beireis. Er ist Erster Vorsitzender der Siebold-Gesellschaft, die in Würzburg das Siebold-Museum und intensiven kulturellen Austausch mit Japan betreibt.

Gleichwohl, sagt Beireis, teilte Siebold sein Wissen großzügig. Als Gegenleistung ließ er sich von seinen Schülern Japanwissen aufschreiben, ließ Pflanzen und Tiere sammeln, Zeichnungen und Landkarten anfertigen. Alle Bereiche der Naturwissenschaften, besonders aber die Botanik, interessierten ihn. Der Universalgelehrte Alexander von Humboldt war sein großes Vorbild. Seine Stellung verschaffte Siebold eine gewisse Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit, seinen Wissensdurst für alles, was japanisch war, zu stillen.

Freilich, das Leben auf Dejima war eintönig, die Männer lebten in drangvoller Enge, streng isoliert von der japanischen Bevölkerung. Einzig den japanischen Kurtisanen war es erlaubt, auf die Insel zu kommen. So lernte auch Siebold ein Mädchen kennen: Die erst 16 Jahre alte Sonogi Otaki Kusumoto wurde seine erste Frau, eine "Frau auf Zeit". Es war eine innige Beziehung, die Siebold aber nicht davon abhielt, sich weiter in die Japankunde zu vertiefen.

1826 reiste er mit einer holländischen Gesandtschaft an den Hof des Shoguns nach Edo, dem heutigen Tokio. Akribisch notierte er seine Beobachtungen zu Sitten, Traditionen, Kleidern und Religion. Ausführlich beschrieb er die Mühen des komplizierten japanischen Protokolls, schildert Audienzen, die es verlangten, oft stundenlang in unbequemer Demutshaltung zu verharren. Er beobachtete alles, umgekehrt wurde auch er als "Gaijin", als Langnase, neugierig beäugt - auch von der japanischen Damenwelt. "So spielten wir eine Zeitlang Patience, und ich versuchte in der Phantasie mir aus den sichtbar werdenden vergoldeten Lippen, geschminkten Wangen, schwarzlackierten Zähnen und den niedlichen Händchen ein Bild von dieser interessanten Damenwelt zu entwerfen, welche ihrerseits, wenn auch verstohlen, uns genau in Augenschein nehmen konnte."

Siebold lernte auf der Reise nach Edo den Künstler Katsushika Hokusai kennen. Dessen filigrane Farbdrucke, besonders die erotischen, faszinierten Siebold. Hokusai, erklärt Andrea Hirner, eröffnete Siebold einen neuen Blick auf Japan, auf die Schönheit der Natur, eine künstlerische Perspektive jenseits der Wissenschaft. Zum Dank schenkte Siebold ihm die Farbe Berliner Blau, ein lichtechtes Pigment, das den Beginn der "blauen Periode" der japanischen Holzschnittkunst markiert. In Europa sollte "Die große Welle vor Kanagawa", Hokusais wohl berühmtester Farbholzschnitt von 1830/31, der heute tausendfach kopiert fast überall auf der Welt bekannt ist, die europäische Malerei Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich prägen.

Dejima, eine fächerförmig aufgeschüttete künstliche Insel, in der Bucht von Nagasaki. (Foto: privat)

Im August 1828 ging Siebolds Dienstzeit auf Dejima zu Ende. Seine umfangreiche Sammlung war bereits in viele Kisten verpackt und an Bord der Cornelius gebracht worden. Doch ein Taifun trieb das Schiff an die Küste, es war manövrierunfähig. Um es wieder flottzumachen, musste die Ladung an Land zurückgebracht werden. So kam zutage, dass er Landkarten, Kunstgegenstände, sogar ein Prunkgewand des Shoguns außer Landes schmuggeln wollte. Dies war Hochverrat. Die "Affäre Siebold" nahm ihren Lauf. Siebold und seine Unterstützer wurden verhaftet. Nur seinen Verdiensten als Arzt und Lehrer war es zu verdanken, dass die Behörden die Todesstrafe in eine lebenslange Verbannung umwandelten. Weniger Glück hatten seine japanischen Freunde. Sie wurden im Gefängnis gefoltert, zumindest einer von ihnen starb an den Folgen. Doch von Glück hätte Siebold wohl nicht gesprochen, musste er doch seine japanische Frau und die gemeinsame Tochter Ine Kusumoto zurücklassen.

Immerhin: Große Teile seiner umfangreichen Sammlung durfte er mitnehmen. Er ließ sich 1830 in Leiden nieder und widmete sich der wissenschaftlichen Aufarbeitung. Sein Hauptwerk "Nippon" wurde auch ins Niederländische, Französische und Russische übersetzt, zudem beriet er das niederländische Kolonialministerium. Die Prachtbände "Fauna Japonica" sowie "Flora Japonica" fanden in Europa große Beachtung - ebenso sein Atlas des Japanischen Reichs. Er gründete einen Versuchsgarten in Leiden, begann, japanische Pflanzen aus den mitgebrachten Setzlingen nachzuzüchten. Viele davon, etwa Hortensien oder der Blauglockenbaum, sind heute aus den europäischen Gärten nicht mehr wegzudenken. "60 Prozent der Pflanzen in unseren Vorgärten sind ostasiatischen Ursprungs und wurden von Siebold in Europa eingeführt", schätzt Beireis. In der Tat erschloss sich Siebold ein einträgliches Geschäftsfeld: Auf Vortrags- und Verkaufsreisen an die europäischen Höfe verkaufte er dem Adel Teile seiner Kunstsammlungen und auch die seinerzeit noch exotischen Pflanzen für deren Parks. Dies ermöglichte ihm ein komfortables Leben.

Etwa dreißig Jahre später durfte Siebold ein zweites Mal nach Japan reisen - in Begleitung seines 13-jährigen Sohnes Alexander aus zweiter Ehe. Die Zeiten hatten sich geändert, nach der Zwangsöffnung Japans durch die Amerikaner waren längst andere Nationen im Land engagiert. Seine Dienste als Mittler und Berater waren nicht mehr so gefragt. Dennoch blieb er circa vier Jahre im Land. Er sah seine ehemaligen Schüler, seine erste Frau und die Tochter Ine wieder.

Nach seiner Rückkehr nach Leiden wurde er auf eigenen Wunsch aus dem niederländischen Staatsdienst entlassen. Die Verkaufsverhandlungen für seine zweite Sammlung, dieses Mal an den bayerischen Staat, gestalteten sich zäh - sehr zu Siebolds Missfallen, der sich damit eine dritte Japan-Reise finanzieren wollte. Doch dazu kam es nicht mehr: Vor 150 Jahren, am 18. Oktober 1866, starb Siebold in München an einer Blutvergiftung.

Siebolds wissenschaftlicher Nachlass ist noch immer nicht vollständig ausgewertet. Auch wenn er nie die Bekanntheit eines Alexander von Humboldt erlangt hat, darf er als Wegbereiter der Japanologie und als Vermittler der japanischen Kultur in Europa gelten. "Japan war seine große Liebe", sagt Andrea Hirner - und seine Tochter Ine wurde die erste Ärztin in Japan, ausgebildet von einem Schüler Siebolds.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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