Historische Reisen:Ein Bayer deutet dem Kaiser von China die Sterne

Historische Reisen: 1720 ernannte Kaiser Kangxi den Landsberger Jesuitenpater Ignaz Kögler (Zeichnung) zu seinem Hofastronomen.

1720 ernannte Kaiser Kangxi den Landsberger Jesuitenpater Ignaz Kögler (Zeichnung) zu seinem Hofastronomen.

(Foto: Foto: oh)

Im Jahre 1716 macht sich Ignaz Kögler auf den Weg nach China. Der dortige Herrscher Kangxi schätzt den aus Landsberg stammenden Missionar. Nur der Papst machte ihm das Leben schwer.

Von Hans Holzhaider

Von Kanton nach Peking sind es 2100 Kilometer; mit der Metrobahn schafft man das heute in knapp 16 Stunden. Im Jahre 1716, als Ignaz Kögler aus Landsberg am Lech und seine Gefährten Karel Slavíček aus Böhmen und Nicolo Gianpriamo aus Neapel sich auf den Weg machten, war es eine Reise, für die man gut und gern acht Wochen veranschlagen musste, auch wenn man, wie die drei Jesuitenpatres, mit kaiserlichem Geleitschutz unterwegs war.

Die schnellste Verbindung von Kanton nach Peking wäre die mit dem Schiff entlang der Küste nach Norden gewesen, aber dort lauerten Piraten. Deshalb nahm man die "Gesandtschaftsroute": von Kanton auf dem Fluss Beijiang stromaufwärts bis Nanxiong, von dort über den Pflaumenbaum-Pass nach Nangang, dann wieder mit dem Schiff auf dem Ganjiang-Fluss bis Nanchang. "Nachdem wir allda zwei Tag zugebracht, haben wir unsere reis zu Landt fortgesetzt, weil sowohl die widerwertige wind, alss die harte winterskälte uns die längere schiffarth nit gestatten wollten", schrieb Ignaz Kögler an seinen Bruder Andreas daheim in Landsberg.

Am 10. Dezember setzte der kaiserliche Tross, der aus einer Prozession von über hundert Tieren bestand, über den Yangtsekiang, der "beyleiffig ein halbe meil breit ist". Endlich, am 2. Januar, erreichte die Reisegesellschaft Peking, die kaiserliche Hauptstadt. Kangxi, der zweite Kaiser der Qing-Dynastie, die seit 1643 in China herrschte, hatte sich durch die Ankunft der Europäer nicht von einem Jagdausflug abhalten lassen. Erst vier Wochen später durften die drei Jesuiten den Kotau vor dem erhabenen Herrscher des Reichs der Mitte machen.

Historische Reisen: Der Kaiser und sein Astronom: Kangxi, der zweite Kaiser der Qing-Dynastie herrschte 61 Jahre über das Reich der Mitte.

Der Kaiser und sein Astronom: Kangxi, der zweite Kaiser der Qing-Dynastie herrschte 61 Jahre über das Reich der Mitte.

"Er hat uns mit grösster lieb und freundtlichkeit, so er gegen die Europäer tragt, empfangen, und in seine Dienst uns gnädigst aufgenommen", schreibt Kögler. Es war Köglers innigster Wunsch gewesen, im Dienst der Gesellschaft Jesu in die Welt zu ziehen. Der Wunsch, in die Mission zu gehen, sei sogar der Hauptgrund für seinen Eintritt in den Jesuitenorden gewesen, schrieb er an Michelangelo Tamburini, den Generalobersten des Ordens. Ignaz wurde am 12. Mai 1680 in Landsberg als Sohn des Kürschnermeisters Andreas Kögler und dessen Frau Elisabeth geboren. Ignaz besuchte das Gymnasium der Jesuiten in Landsberg.

Schon mit 16 Jahren trat er in die Societas Jesu ein. Den jungen Jesuiten wurde eine lange und mühselige Ausbildung auferlegt: das zweijährige Noviziat, ein dreijähriges Grundstudium der Philosophie und Mathematik, sieben Jahre Theologiestudium. Schon während seines Grundstudiums in Ingolstadt kam Kögler in Berührung mit der Astronomie; Ingolstadt war eine Hochburg der Himmelskunde. 1712 kehrte Kögler nach einigen Zwischenstationen als Professor für Mathematik und Hebräisch an die Universität Ingolstadt zurück. Schon 1711 hatte er sich bei seinen Ordensoberen um eine Entsendung als Missionar beworben.

Nun, als er erfuhr, dass in China besonders Missionare mit Kenntnissen in der Astronomie gesucht wurden, erneuerte er seine Bewerbung. Am 8. Juni 1715 ging sein Wunsch in Erfüllung: Der Ordensgeneral Tamburini teilte dem deutschen Provinzial Joseph Preiß mit, dass Ignatius Kögler nach China entsandt werde. Am 26. Juli 1715 machten sich Kögler und sein Reisegefährte, der Uhrmacher und Astronom Karel Slavíček, auf den Weg nach Lissabon, wo sie sich nach dem Fernen Osten einschiffen sollten.

Er reiste mit kleinem Gepäck: Ein Talar, Leinenwäsche, ein baumwollenes Nachthemd, ein Halstuch, ein Reisekoffer und eine kleinere Tasche, dazu 400 Gulden als Reisegeld. In seinem Abschiedsbrief bedankt er sich bei seiner Mutter und seinen Geschwistern für alle empfangene Liebe und Sorgfalt, und hinterlässt einen guten Rat für seine Schwester Maria: ". . . daß sie sich nicht leicht zu einem Geistlichen verdingt, weil nur gar zu gewiß ist, daß dergleichen Dienst vielfältig die allergefährlichsten sind".

Die Seereise von Europa in den Fernen Osten war zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine gefährliche Angelegenheit. Stürme und Flauten, Navigationsprobleme (noch immer konnte man die geographische Länge nicht genau bestimmen), Krankheiten, vor allem der Skorbut, sowie Seeräuber - keiner, der in Amsterdam, Lissabon oder Cadiz an Bord eines Seglers ging, konnte darauf vertrauen, dass er lebendig und heil an seinem Ziel ankam. Köglers Reise verlief vergleichsweise glücklich. Am 14. März 1716 lichtete die Sant' Ana in Lissabon den Anker. Mehrere schwere Stürme überstand das Schiff, ohne größeren Schaden zu nehmen, und am frühen Morgen des 30. August lief die Sant' Ana in den Hafen von Macao ein.

In China hatten sich die Europäer anzupassen

In China herrschten für Europäer andere Bedingungen als in all den anderen überseeischen Gebieten, in die sie während der letzten zwei Jahrhunderte vorgedrungen waren. China war ein straff organisiertes, effizient verwaltetes Staatswesen mit einer seit zweitausend Jahren währenden geschichtlichen Kontinuität. Die Hauptstadt Peking war, neben Konstantinopel, die größte Stadt der Welt, und die chinesischen Herrscher betrachteten alle Völker außerhalb ihrer Grenzen als tributpflichtige Barbaren. Hier konnten die Europäer nicht wie in Amerika, Afrika oder Indonesien die einheimischen Völker ausrotten, ausbeuten oder versklaven, hier hatten sie sich anzupassen.

Das erste, was die Missionare nach ihrer Ankunft zu tun hatten, war, sich den Kopf nach der Sitte der Mandschu rasieren und sich chinesische Gewänder anpassen zu lassen, sich intensiv dem Studium der Sprache zu widmen und sich in allen Feinheiten des Hofzeremoniells zu üben. Es war, wenn man so will, ein Programm zur Zwangsintegration, wie es sich auch die CSU nicht schöner ausdenken könnte (wenn man davon absieht, dass der Kotau vor dem Ministerpräsidenten hier - noch - nicht üblich ist). Wie seine Gefährten, nahm Kögler alsbald einen chinesischen Namen an. Er nannte sich fortan Dai Jinxian, "Der in Tugend Voranschreitende".

Kögler war, aus Sicht eines Missionars, zu einer denkbar ungünstigen Zeit in China gelandet. Bis um die Jahrhundertwende hatten die Jesuiten ihre Bemühungen um die Bekehrung der Chinesen zum Christentum auf sehr geschickte Art betrieben. Die chinesischen Herrscher waren ausgesprochen tolerant gegenüber anderen Religionen, aber sie bestanden strikt auf der Beachtung ihrer staatstragenden Normen und Gebräuche: der Verehrung der Ahnen und der Lehren des Konfuzius.

Die Jesuiten hatten daran keinen Anstoß genommen - der Konfuzianismus war eigentlich keine Religion, sondern eine pragmatische Lehre für das diesseitige Leben. Auch die Verehrung der Vorfahren stand in keinem direkten Widerspruch zu den Evangelien. Nun aber hatte Papst Clemens XI. beschlossen, dass damit Schluss sein müsse. In seiner Bulle Ex illa die verkündete er das Ende der "Akkomodation": Wer sich zum Christentum bekehre, müsse der Verehrung der Ahnen, wie sie in China praktiziert werde, abschwören. Just einige Wochen vor Köglers Ankunft waren die ersten Exemplare der Bulle in China publik geworden. Der Kaiser schäumte, und die Missionare sahen sich vor einem unauflösbaren Dilemma: Entweder sie gehorchten dem Papst - und machten damit alle bisherigen Erfolge ihrer Mission zunichte, oder sie missachteten den päpstlichen Befehl, und riskierten ihre Exkommunikation.

Schon in seinem ersten Brief aus China an seinen Bruder Andreas beklagt Kögler mit bitteren Worten den unsinnigen Papstbefehl: "Jetzt frag ich ihn, vilgliebter Herr Brueder, ob ich nit grosse und vielfältige ursach zu trauern habe, dass so vil mit dem kostbaren Blut Christi erkauffte seelen von dem himmel nur darumb müssen ausgeschlossen sein, weil sie den gesetzen ihres Vatterlandes gehorsam leisten, . . . sonderlich wann die gebräuch an sich selbst nit bös, sondern zu nichts anders angesehen seyndt, als zur unterhaltung der schuldigen dankbarkeit und angedenkens gegen die verstorbenen Vorfahren, Eltern, Lehrmeister und Obrigkeiten?"

Dieser unauflösbare Konflikt sollte Ignaz Köglers restliches Leben überschatten, insbesondere, nachdem Kaiser Kangxi 1722 gestorben war und sein Sohn Yongzhen den Thron bestieg, der den Christen gegenüber wesentlich unduldsamer war als sein Vater. Kögler freilich erfreute sich immer größter Wertschätzung am kaiserlichen Hof. Die Berechnung des Laufs von Sonne, Mond und Planeten und die exakte Voraussage von Sonnen- und Mondfinsternissen war für die kalendergläubigen Chinesen von höchster Bedeutung.

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Köglers Wirkungsstätte war das alte, schon 1442 erbaute Observatorium in der südlichen Stadtmauer, das von Kaiser Kangxi mit den modernsten Instrumenten ausgestattet wurde. Kögler selbst konstruierte mit seinem Ordensbruder August von Hallerstein eine neue Armillarsphäre, ein Gerät zur Bestimmung der Auf- und Untergangszeiten von Himmelskörpern. Im Januar 1720 ernannte Kaiser Kangxi Ignaz Kögler zum Direktor des astronomischen Amts, fünf Jahre später verlieh ihm der neue Kaiser Yongzhen sogar den Ehrentitel eines Mandarins zweiten Ranges.

30 Jahre lang bemühte sich Kögler nach besten Kräften, sowohl seiner Berufung als Missionar als auch seinen Pflichten als kaiserlicher Beamter nachzukommen, ohne dabei innerlich zu zerreißen. Es war ein aufreibender, zermürbender Dienst, der schließlich auch seinen körperlichen Tribut forderte. Kögler überlebte zwei Schlaganfälle, und während der letzten zehn Jahre seines Lebens litt er schwer unter Nierensteinen und der Gicht. Am 29. März 1746 setzte ein dritter Schlaganfall seinem Leben ein Ende. Der Kaiser stiftete 200 Tael - das sind etwa sechseinhalb Kilo - Silber und zehn Stück Seidenzeug für die Trauerfeierlichkeiten.

Etwas außerhalb des Westlichen Stadttores hatten die Jesuiten einen eigenen Friedhof. 63 Jesuitenpadres liegen dort begraben, unter ihnen Ignaz Kögler. Heute befindet sich an dieser Stelle die Kaderschule der Kommunistischen Partei Chinas. In ihrem Innenhof stehen noch immer die alten Grabsteine.

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