Verkehrsrecht:Warten mit dem Einfädeln

Lesezeit: 2 min

Stau auf der B96 auf Rügen: Wo aus zwei Fahrstreifen einer wird, ist Rücksichtnahme angesagt. (Foto: Stefan Sauer/dpa)

Immer wieder gibt es Ärger mit dem Reißverschluss-System - zum Beispiel an Baustellen auf der Autobahn: Wer muss wen reinlassen? Ein Fahrlehrer erklärt, wie sich Autofahrer bei zähem Verkehr am besten verhalten.

Von Felix Reek

Die Straßen sind mal wieder total verstopft. Zähfließender Verkehr, kilometerweit. Ein Autofahrer beschleunigt auf einer Spur, die am Ende von einer Baustelle blockiert ist. Er hat den Blinker gesetzt, fährt bis zum Ende - und muss dann zusehen, wie ein Verkehrsteilnehmer nach dem anderen trotz Schritttempo und Stau beschleunigt und die Lücke zumacht, damit er nicht auf die freie Spur wechseln kann. Noch ein Auto reinlassen? Bloß nicht! Das führt nur zu noch mehr Stau! So scheinen viele Autofahrer zu denken.

Dabei ist die Regelung in diesem Fall ganz klar. Endet bei Stau oder zähfließendem Verkehr eine Fahrspur, ist das sogenannte Reißverschlussverfahren anzuwenden. Es gilt für Autobahnen, auf Landstraßen und auch innerstädtisch. "Auch wenn rechts mal wieder ein DHL-Laster parkt", erklärt Fahrlehrer Thorsten Günther aus Hamburg. Er bringt seit vier Jahrzehnten seinen Schülern das Autofahren bei. "Reißverschlussverfahren? Damit haben die Deutschen ein Problem", sagt er. Sie wissen nicht, wie es funktioniert oder ignorieren es - obwohl es ganz einfach ist.

Beim Reißverschlussverfahren sind die Verkehrsteilnehmer auf der endenden Spur und die auf der weiterführenden gleichberechtigt. Wer sich in den Verkehr einordnen will, sollte bis zum Ende der Spur oder des Hindernisses fahren und sich einfädeln. Immer abwechselnd. Wie bei einem Reißverschluss. Wer versucht, schon vor dem Ende der Spur die Fahrbahn zu wechseln, verlängert nicht nur den Stau. Er kann dadurch das erhöhte Verkehrsaufkommen sogar erst auslösen.

Vollkommen anders sieht es aus, wenn der Verkehr fließt. Dann kommt das Reißverschlussverfahren nicht zur Anwendung, sondern ein einfacher Fahrstreifenwechsel, erläutert der ADAC. Der fließende Verkehr hat Vorfahrt. "Wer auf dem Beschleunigungsstreifen fährt, muss sich eine Lücke suchen", sagt auch Fahrlehrer Günther. Die typische Reaktion, dass dem Auffahrenden an der Autobahnzufahrt Platz gemacht werden muss, ist ein Irrglaube. Unvorhergesehenes Bremsen oder ruckartiges Wechseln der Spur, um das Auto vorzulassen, kann andere behindern und im schlimmsten Fall zu einem Unfall führen, warnt Günther.

Stattdessen sollten die, die sich im fließenden Verkehr befinden, mit möglichst konstantem Tempo weiterfahren, damit der Einfädelnde den Verkehr besser einschätzen kann. Gelingt es ihm nicht, vor dem Ende der Spur die Fahrbahn zu wechseln, muss er am Ende der Einfädelspur anhalten und aus dem Stand auffahren, wenn sich eine Gelegenheit bietet.

Warum tun sich die Menschen trotz klarer Regelungen so schwer mit dem Einfädeln und suchen lieber den eigenen Vorteil? Fahrlehrer Günther hält es mit Karl Marx: "Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Und das Sein ist die Konkurrenzgesellschaft, in der wir leben." Das heißt konkret: "Wir sollen im Straßenverkehr partnerschaftlich und freundlich miteinander umgehen, wie der Paragraf eins der Straßenverkehrsordnung das sagt, aber das kann nicht klappen. Das Leben auf unseren Straßen ist ein ganz anderes."

Obwohl kaum einer mit Rücksicht fährt und so die Verkehrssituation für alle verbessert, fühlen sich die meisten Verkehrsteilnehmer benachteiligt. Im Falle des Reißverschlussverfahrens heißt das: "Die links fahren, haben immer das Gefühl: Der drängelt sich vor", hat Fahrlehrer Thorsten Günther beobachtet. Also lassen sie den anderen nicht herein. Und machen so alles nur viel schlimmer. Dass das Reißverschlussverfahren durchaus seinen Zweck erfüllt, übersehen sie. Der Fahrlehrer aus Hamburg jedenfalls versichert: "Der Verkehr wäre tatsächlich flüssiger, wenn sich alle an das Reißverschlussverfahren halten würden."

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: