Unterwegs:Voll die Mattscheibe

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Seit die Amerikanerin Mary Anderson im Jahr 1903, also vor über 100 Jahren, den Scheibenwischer mit Gummilippe erfand, ist ja so viel passiert. Es sei denn, das Ding gibt, beispielsweise schneebedingt, plötzlich den Geist auf.

Von Richard Christian Kähler

Na toll. Die neuen Scheibenwischerblätter für den betagten Sportwagen, die eh schon so schwer zu besorgen waren, sind obendrein auch noch Schrott. Genau, wie der Ersatzteillagen-Kenner in der Werkstatt augenbrauenhebend prophezeit hatte, als ich ihm überglücklich die endlich ergatterten Wischerarm-Aufsätze zeigte: "Ah, die überteuerte China-Ware, die sich von selbst zerlegt . . ."

Und tatsächlich, kaum montiert und in Gebrauch, ist es schon nach dreimal hin und her soweit: Das Gummibefestigungsblech, dünn wie Joghurtdeckel-Alu, kann die durchgebogene Wischerlippe nicht mehr plan auf die Windschutzscheibe spannen. Also: Mattscheibe. Und was lernen wir daraus? Wie blitzschnell man bei Regen, Matsch und Schnee wieder in die Steinzeit zurückkatapultiert wird. Zumindest fällt mir mein Vater ein, wie er einst den von innen gefrosteten VW Käfer zu enteisen versuchte. Mehr als ein Sehschlitz wie in einem Panzerspähwagen ist ihm dabei freilich selten geglückt.

Gott, nun ist es schon mehr als 100 Jahre her, dass die Amerikanerin Mary Anderson 1903 einen mechanischen Wischerarm mit Gummiabstreiflippe erfand. So jedenfalls lehrt es das allwissende Netz. Dort erfahren wir auch Unerhörtes, zum Beispiel, dass es heute Scheibenwischer mit Reversiermotor gibt, die kein Verbindungsgestänge mehr brauchen. Der Vorteil: Wird ein Wischer beispielsweise durch Schnee blockiert, kann er an jeder Stelle die Richtung wechseln. Nur wenn die Technik einmal versagen sollte, geht es allen gleich, egal, ob man in einem teuren Sportwagen sitzt, oder in einer Nuckelpinne, abgesehen davon, dass man bei 230 km/h naturgemäß einen Blindflug noch weniger brauchen kann, als wenn man ohnehin nur mit Zuckeltempo dahinschleicht.

Aber irgendwann werden wir ja alle statt durch Windschutzscheiben auf ein Widescreendisplay schauen, dessen knackscharfes Bild uns jede Menge Außenkameras liefern. Bei schöner Witterung zumindest. Wie man auch in Zukunft Mistwetter und matschblinde Linsen verhindern will, mögen uns die Software-Genies beantworten. Und bis dahin streift weiterhin die gute alte Gummilippe die störende Natur vom Glas.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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