Unterwegs:Qualen vorm Zahlen

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Autobahnzahlstellen sollen Touristen bis aufs Blut quälen. Und zeigen, wie viele Arten es gibt, eine Kreditkarte falsch herum in einen Schlitz zu stecken.

Von Jörg Reichle

Nirgends erlangt der automobile Mensch höhere Einsichten als auf Reisen. Zum Beispiel darüber, wie gut er es daheim hat. Nehmen wir nur einmal die Autobahnzahlstellen, mit der unsere europäischen Nachbarn uns Touristen quälen. Aus der Luft sieht es ja toll aus, wie zwei Fahrspuren jeweils zu ganz vielen mäandern, bevor sich ein Bauwerksriegel schmal wie ein Kamm quer darüberlegt. Muss man aber hienieden da durch, eröffnet sich ein Höllenschlund aus menschlicher Fehlbarkeit und organisatorischem Chaos. Ein Drama in vier Akten (und jederzeit wiederholbar)!

Erster Akt: das Einfädeln. Kaum kommt eine Zahlstelle in Sicht, geht's los wie im Supermarkt. Wo ist die Schlange am kürzesten? Prompt beginnt wilder Fahrspurtausch. Der von ganz links will nach ganz rechts. Und umgekehrt. Dazwischen einige, die sich nicht entscheiden können. Also wird erst mal angehalten. Hinten wildes Gehupe, der Hals schwillt, der Stau wächst in Nullkommanichts: Kleinwagen, Lieferwagen, Busse, Wohnmobile. Ganz Schlaue pressen sich zwischen zwei Fahrspurstaus, Hintermänner folgen - und merken erst kurz vor der Zahlbox, dass dort, wo sie stehen, gar keine ist. Also: wieder Drängelei, Hupen, Flüche aus versenkten Seitenscheiben. Oder man steht in der Telematik-Spur, aus Versehen. Also Rückwärtsgang rein. Hinten: Hupkonzert. Muss dann rechts rüber. Hinten: Hupkonzert. Oder links. Hinten? Genau!

Zweiter Akt: Suche nach Kleingeld oder Kreditkarte. Wildes Gefummel überall in den Autos: Wo ist denn die Geldbörse? Ehefrauen genervt. "Ich hab' dir die Karte doch schon . . .!" "Hast du nicht, sonst wäre sie ja da . . .!" Schweißperlen auf der Stirn, hinten: Hupkonzert.

Dritter Akt: der Vordermann vorm Automaten. Hat man das Glück und kein Wohnmobil vor sich, dessen Fahrer das nur gemietet hat und sich dann zentimeterweise in das hautenge Gatter tastet, ist das Schlimmste längst nicht überstanden. Es gibt nämlich überraschend viele Möglichkeiten, eine Kreditkarte falsch herum in einen Schlitz zu stecken. Und der Unglücksrabe vor Ihnen probiert sie garantiert alle aus. Oder - Super-GAU aller Zahlstellenopfer - der Geldschein fällt ihm aus der Hand. Um ihn wieder zu kriegen, muss Tölpel dann die Tür öffnen, die er aber nicht aufkriegt, weil die Spur so hirnverbrannt eng ist ...

Vierter Akt: Wir sind dran. Läppische Einsachtzig will der Automat. Jetzt nur nichts falsch machen.

© SZ vom 11.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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