Unterwegs:Freiheit in der Einzelzelle

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Freiheit im Auto bedeutet: Keiner wird mich stören. Das ermöglicht einiges: Nasepulen oder Wagner-Hören zum Beispiel. Oder: so viel zu rauchen, wie man will.

Von Richard Christian Kähler

Das Lebensgefühl, das einen auf einem Motorrad schon nach den ersten Metern überwältigt, ist: "Ich bin beweglich. Ich kann fast fliegen. Ich fühl mich so frei!" Gleichzeitig aber, das bringt echte Freiheit nun mal mit sich, fühlt man sich auch verletzlich und ungeschützt. Eher vogelfrei. Doch ein kurzer Dreh am Gas erweckt das alles übertönende Zweiradgefühl: "Keiner wird mich kriegen! Und keiner kann mich einsperren."

Im Vierrad funktioniert Freiheit anders. Hier heißt die Erleichterung, sowie die Tür hinter einem ins Schloss gefallen ist: "Keiner wird mich jetzt stören!" Im Auto ist man freiwilliger Eremit. Und genießt in einer völlig übervölkerten Welt den Luxus einer mobilen Einzelzelle. Und in so einem ungestört dahingleitenden Wagen, vom entspannten Nasepulen bis zu anderen körperlichen Nachlässigkeiten mal abgesehen, sind auch gepflegte Hörbücher ein Hochgenuss. Und Wagner-Ouvertüren auf CD in voller Lautstärke fast noch mehr.

Und wer zu den Unbelehrbaren gehört, die dabei auch noch Tabak verbrennen, obwohl das gar nicht gesund ist, freut sich umso mehr, wenn er ein Auto hat. Mit Aschenbecher. Und innerhalb seiner eigenen vier Reifen rauchen kann, soviel er will. Solange er noch darf. Doch falls in Gesetzgeberkreisen jemand ernsthaft meint, über ein absolutes Rauchverbot selbst ganz allein im Auto nachzudenken, dann doch bitte vorher erst mal über folgende Frage tiefschürfen: "Dürfen Fahrradfahrer eigentlich rauchen? So ganz offen an der guten frischen Luft Feinstaub mehrend Mikrogramm um Mikrogramm?"

Bis die da oben dann endlich bemerken, dass die brennende Frage nach eventuell krankhaft kettenrauchenden Öko-Radlern sich ungefähr so erübrigt wie die staatliche Sorge, Vegetarier würden sich vielleicht auch zu viel ungesund süßen Senf auf die Leberkäs-Semmel schmieren, haben wir noch viel Zeit, selbstverantwortlich zu sündigen und bei Wagner & Co. weiterhin ungestört die Nase zu säubern. Ach ja, die Freiheit!

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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