Unterwegs:Ein Schwarm, sehr gelassen

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Man kann uns Autofahrer ja auch mal loben: Wie wir uns im täglichen Verkehr bewegen, ohne zu kollidieren, ist fast ein alltägliches Wunder.

Von Richard Christian Kähler

Ein bisschen wehmütig, aber wenigstens noch immer sonnenwarm kündigt sich das nahende Ende des Sommers an, die abendlichen Straßen in der Stadt liegen in rosarotem Schein, aus offenen Scheiben klingen Musikfetzen herüber, keiner hupt. Entspannte Wochenend-Leichtigkeit scheint von den mit angenehmem Abstand dahinrollenden Wagen auszugehen, und im Strom fließen auf vier, sechs, oder acht Spuren fröhliche Menschen in ihren Wagen am Freitagabend dem Wochenende entgegen. Manche zieht es hinaus aufs Land, andere an einen nahen See und wieder andere genießen, wie sich die Innenstadt zeitlupengleich träge zu bewegen scheint.

Stetiges Fahren mit 50, 60 km/h vermittelt Dorfstraßengefühl inmitten dieser Hochhausschluchten. Und sind erst einmal ein paar Minuten des meditativen Dahingleitens über den im Sonnenuntergang schimmernden Asphalt verstrichen, ohne dass auch nur ein einziger Depp diese gruppenharmonische Idylle mit abrupten und hektischen Spurwechselmanövern stört, beginnt man, von den gerade vergangenen Sommerferien zu träumen. Und vom Meer. Und dass man irgendwie ein Blechfischlein ist im großen Strom. Und dahin schwimmt in einem riesigen Schwarm.

Ja, man muss uns ansonsten ja häufig fehlbare Fahrzeuglenker doch auch einmal loben: Wie wir in unserem motorisierten Schwarm auf der Asphaltoberfläche so vertrauensvoll dicht an dicht dahingleiten, verschwenken und umherkurven, zu Tausenden parallel, ohne uns je zu berühren. Und ein Jeder, zumindest die Allermeisten, tut das mit Voraussicht und Rundumsicht, Gemeinschaftsgefühl, mancher sogar mit Eleganz.

Bis ein Typ aus der Tiefgarage in eine viel zu enge Lücke stößt und drängt und eine Reaktionswelle über zwei, drei Spuren nach links ausbricht, aber alle Vorbeischwimmenden wie ein Wesen die nötigen Zentimeter ausweichen. "Schwarmintelligenz"? Das vielleicht nicht, zumal es ja einige gibt, die damit nicht so überreichlich gesegnet sind.

Doch die schwarmhafte Anpassung an wechselnde Umstände kann man uns Massenverkehrsteilnehmern in den meisten Fällen so sicher nachsagen wie den Fischen in Fluss.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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