Unterwegs:Die Göttliche lebt

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Ein Auto, das Zitrone heißt. Ja, das waren noch Zeiten, als die DS, glatt und lang wie eine exotische Frucht, unseren Alltag adelte. Und im Studium wiederkehrte - als Göttliche in Roland Barthes Mythen des Alltags. Jetzt wird dieses Überauto 60 Jahre alt.

Von Jochen Wagner

Zitrone heißt das Auto? Wir waren damals kaum zehn, da konnten wir uns diesen komischen Namen nicht merken. "Sitrööäää'n" oder so ähnlich, geschrieben Citroën. Aber gemerkt haben wir unvergesslich hinten drin, wie das Auto den Hintern hob.

Ein Spezl vom Papa war sofort vernarrt in die DS. Lang und glatt wie eine exotische Frucht. Imponieren tat die vierrädrige Französin natürlich nicht mit Kraft, dazu schwächelten ihre 63 PS aus 1900 Kubik doch zu sehr. Aber hydropneumatische Federung, schnittige Form, mitlenkende Doppelscheinwerfer (ab 1967), bissige hydraulische Bremsen, das fühlten wir, ohne zu wissen. In Fahrt über Schlaglöcher schweben, das war das Märchen, alles Unangenehme des Lebens könne abgepuffert, weggedämpft, amortisiert werden.

Nun feiert dieses automobile Zeugnis humanisierter Kunst seinen 60. Geburtstag. In Paris, wo die DS auf dem Salon 1955 erstmals erschien, die Leute auf die Knie gingen und 12 000 von ihnen sofort eine bestellten, gibt's dazu ganze Paraden. 1,4 Millionen DS sind es bis 1975 geworden. Im Studium war die "Déesse" dann Pflichtlektüre aus Roland Barthes' "Mythen des Alltags". Ihm war die Göttliche ein magisches, superlativisches, vom Himmel gefallenes Objekt, die Umwandlung des Lebens in Materie aus nahtlosem Glanz, fugenlosem Metall, eine Welt verschweißter Elemente zu einem Bestiarium der Kraft in wunderbarer Form. Und eine Geste des Stils: Schweres wird leicht, Aerodynamik zur Vergeistigung des Stoffes durch Geschwindigkeit, das verglaste Blech zur Partitur kontrollierter Bewegung aus Komfort und Leistung. Bis man dann im Stillstand andächtig wird und alles Visuelle mit dem Ansturm des Tastsinns erobert. Man fühlt, was man sieht, berührt, streichelt: Eine DS besitzen stiftet Teilhabe am göttlichem Sein.

Was Wunder, dass ich neulich strahlte. "Magst fahren?", fragte der Spezl und machte den Beifahrer. Es war freilich keine DS, sondern das Sportcoupé SM, eine Ikone der späteren Jahre mit Sechszylindermotor von Maserati. 180 PS und 3000 Kubik machten aus Schweben Fliegen. Diesen Motor in die DS? Ja, das wär's gewesen.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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