Unterwegs:Der große Gleichmacher

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Als Pendler aus dem weiten Speckgürtel bis nah an den Großstadtrand zu kommen, ist nicht das Problem. In die City hinein- und hindurchzukommen dagegen schon.

Von Richard Christian Kähler

Wenn eine Landschaft auch ohne Sonne, trotz grauem Himmel und Regen noch eine gewisse Schönheit in der Windschutzscheibe vor einem ausbreiten kann, darf man wohl davon ausgehen, dass es im Frühling und Sommer hier eine wahre Pracht wird: "Ja", sagt der besuchte Freund, "wunderbar! Aber Hauptsache, das Internet funkt einigermaßen flott!" Und der Verkehr rein in die Stadt fließt einigermaßen flüssig.

Als Pendler aus dem weiten Speckgürtel bis nah an den Großstadtrand zu kommen, ist nicht das Problem. In die City hineinzukommen dagegen ist eines. Morgen für Morgen schon weit vor den Toren der Stadt in langen Schlangen stillstehen zu müssen, als lebten wir nicht in der Moderne, sondern im Mittelalter. Und hinter dem engen, bewachten Eingang durchs Stadttor locke der alljährliche Pferde- sowie Hochzeitsmarkt.

Radio und Internet können einem da auch nichts Neues mehr über die täglich katastrophale Kettenlänge verraten. Fünf Kilometer, zehn, 20 ... man kennt ja seine Seitenscheibenstandbilder. Und die ebenso erstarrten Geisterbahnautoketten in der Gegenrichtung lassen einen bereits schon vor dem nächsten Problem gruseln: Am Abend wieder aus der Stadt herauszukommen durch dieses Nadelöhr in wieder frei durchrollbares Land.

Oh, Stau, du großer Gleichmacher. Egal, wie viele Scheine man für seinen Wagen hinblättert - kann er nicht fliegen, steht er hier so sinnlos rum wieder der Schäbigste. Und Stau, du großer Gemütsbeweger! Wie rasend erst und dann schnell resigniert sind wir bei deinem Anblick. Und wie demütig erst und dankbar, geht es aus ewigem Stillstand wenigstens wieder in Schritttempo über. Und dann: Drei Meter Lücke vor einem, wie toll, zehn, 30 ... wenns doch bitte, bitte nur so weitergeht!

Endlich wieder frei, aber keiner von uns weiß so recht, wieso. Und wieso, weshalb, warum wir hier eben noch feststanden, weiß erst recht keiner. Aber nun sind 100 Kilometer pro Stunde selbst für Sportwagenfahrer sensationell schnell. Doch ab circa 120 wird der Mensch dann wieder vergesslich: Nein! Wird es da wieder dunkel und dicht am Horizont? Oh, bitte nicht! Lass den Wagen wenigstens langsam weiterrollen! Nicht wieder stehen, bitte nicht wieder stehen! ... Stau, das ist das Gegenteil von Auto. Und Feststecken das Gegenteil von Fun.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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